Zitterpartie trotz Direktmandat

von Redaktion

Bei der Bundestagswahl am Sonntag greift erstmals das neue Wahlrecht

Berlin – Die Union, insbesondere die CSU, hatte versucht, das 2023 von der Ampel-Koalition beschlossene neue Wahlrecht zu kippen. Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts gab dem aber nur teilweise statt. Drei Direktmandate reichen demnach für eine Partei weiterhin aus, um in den Bundestag einzuziehen, auch wenn man die Fünf-Prozent-Hürde reißt. In einem zweiten entscheidenden Punkt erklärte das Gericht das neue Wahlrecht aber für verfassungskonform – und das betrifft die Überhangmandate. Wir erklären, was das bedeutet.

■ Wie sieht das bisherige Wahlrecht aus?

Bei der Bundestagswahl hat jeder Wahlberechtigte zwei Stimmen. Mit der Erststimme wählt man einen Direktkandidaten im Wahlkreis, mit der Zweitstimme eine Partei, was über die Sitzverteilung im Parlament entscheidet. Das bleibt auch bei der Bundestagswahl 2025 so. Bis zur Wahlrechtsreform zog aber jeder Wahlkreissieger sicher für seine Partei in den Bundestag ein. Holte eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach Zweitstimmenergebnis zustehen würden, musste die Zusammensetzung angepasst werden. Es entstanden Überhang- und Ausgleichsmandate, die den Bundestag aufblähten. Davon profitierte insbesondere auch die in bayerischen Wahlkreisen dominierende CSU.

■ Warum wurde das Wahlrecht geändert?

Die eigentlich vorgesehene Größe des Bundestags beträgt 598 Personen. Im aktuellen Bundestag sitzen wegen der Überhang- und Ausgleichsmandate allerdings 733 Abgeordnete. Damit hat Deutschland das größte frei gewählte Parlament der Welt, unter anderem mehr als der 1,4-Milliarden-Einwohner-Staat Indien. Das wollte die vergangene Ampel-Regierung mit der Wahlrechtsreform ändern.

■ Wie sieht das neue Wahlrecht aus?

Mit dem erstmals angewandten Wahlrecht fallen viele Überhang- und Ausgleichsmandate weg. Jede Partei erhält nur noch so viele Sitze, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis als Partei zustehen.

■ Ist die Erststimme damit unwichtig?

Für die Zusammensetzung des Bundestags ist ausschließlich die Zweitstimme relevant. Die Erststimme, mit der man einen Direktkandidaten in seinem Wahlkreis wählt, fließt nicht in die Zusammensetzung des Bundestags mit ein. Sie ist daher im Vergleich zu vergangenen Wahlen weniger entscheidend – bleibt aber für die Direktkandidaten wichtig. Allerdings ist man mit einem gewonnenen Direktmandat jetzt nicht mehr automatisch im Bundestag.

■ Was bedeutet das für die Direktkandidaten?

Wer seinen Wahlkreis gewinnt, sollte das möglichst überzeugend tun, um sicher im Bundestag zu sein. Denn eine Partei kann nur so viele Direktkandidaten ins Parlament schicken, wie vom Zweitstimmenergebnis gedeckt sind. In der Praxis bedeutet das Folgendes: Holt eine Partei zum Beispiel 20 Prozent der Zweitstimmen und 25 Prozent der Erststimmen, fallen die Erststimmen weg, die über den 20 Prozent der Zweitstimmen liegen. Diese Abgeordneten werden dann gestrichen – auch, wenn sie ihren Wahlkreis gewonnen haben. Konkret sind Abgeordnete mit einem schlechten Erststimmenergebnis davon betroffen. Erfahrungsgemäß sind das vor allem Kandidaten in größeren Städten, wo mehrere Parteien Unterstützung haben und sich somit gegenseitig Stimmen wegnehmen.

■ Wie viele Abgeordnete sitzen noch im Bundestag?

Durch das neue Wahlrecht ist die Anzahl der Abgeordneten nach der Bundestagswahl auf 630 beschränkt. Auf diese Zahl hatte sich die Wahlrechtskommission geeinigt, und diese Zahl ist unveränderlich, egal, wie viele Direktmandate eine Partei holt.

■ Und was ist mit der Grundmandatsklausel?

Die Grundmandatsklausel sieht vor, dass eine Partei auch dann im Bundestag sitzt, wenn sie zwar die Fünf-Prozent-Hürde verpasst – dafür aber drei Wahlkreise gewinnt. Die Ampel wollte die Grundmandatsklausel eigentlich streichen, doch CSU und Linke klagten dagegen – und bekamen vom Bundesverfassungsgericht Recht: Die Grundmandatsklausel bleibt deshalb auch bei der Bundestagswahl am Sonntag bestehen. Für die Grundmandatsklausel ist es auch egal, mit wie viel Prozent eine Partei drei Direktmandate holt.

Vor allem die Linke setzt für den Einzug ins Parlament auf die Grundmandatsklausel und wird das wohl mit Gregor Gysi (Berlin), Bodo Ramelow (Erfurt) und Sören Pellmann (Leipzig) auch schaffen. Chancen auf drei Direktmandate rechnen sich auch die Freien Wähler aus, die unter anderem mit Parteichef Hubert Aiwanger (Rottal-Inn) und dem Landshuter Landrat Peter Dreier antreten.

Artikel 1 von 11