KOMMENTARE

Trump, Europa und der Streit um die freie Rede

von Redaktion

Vance: „Orwellianische EU“

Im Rosenkrieg zwischen den Europäern und Trumps USA haben die Amerikaner die nächste Eskalationsstufe gezündet: Laut Donald Trump sollen die Ukrainer (und besonders ihr Präsident Selenskyj) jetzt also selbst schuld sein an ihrem Kriegselend. Und auch sein Vize J. D. Vance legte noch mal nach: In Europa herrschten heute in Sachen Meinungsfreiheit „orwellianische“ Verhältnisse. Vance twitterte das auf Elon Musks Plattform X, nachdem der US-Sender CBS eine Aufsehen erregende Reportage über das harte Vorgehen europäischer Strafverfolger gegen Bürger ausgestrahlt hatte, die der Hassrede im Internet beschuldigt werden. Aus Sicht des Trump-Lagers sind die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Nato und die Meinungsfreiheit eng miteinander verwoben. Denn ein angeblich dekadentes Europa, das die Redefreiheit nicht achte und unbequeme (rechte) Meinungen kriminalisiere, schwäche sich selbst und sei nicht verteidigenswert – so hatte es Vance bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz intoniert.

Man kann das mit Fug und Recht ziemlich verlogen finden: Gerade hat die Trump-Administration die US-Nachrichtenagentur AP von Pressekonferenzen des Präsidenten ausgeschlossen. So viel zum Thema Redefreiheit. Doch sollte ein starkes Europa sensibel und selbstkritisch genug sein, sein eigenes Wertefundament immer wieder auf seine Tragfähigkeit zu überprüfen und mögliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Zwischen Redefreiheit und (strafbarer) Hassrede ist die Grenze nicht immer leicht zu ziehen. Es gab zuletzt Vorfälle, die zumindest aufhorchen ließen: In Schweden wurde ein Anti-Islam-Aktivist wegen „Agitation gegen eine nationale Gruppe“ angeklagt. In Deutschland hat man Demonstrationen von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen verboten. In Bayern bekam ein Rentner Besuch von der Polizei, nachdem er den Grünen Robert Habeck einen „Schwachkopf“ genannt hatte. Sein PC wurde konfisziert. In diesem Zusammenhang erfuhr die Öffentlichkeit, dass allein das Team Habeck 700 Anzeigen wegen Beleidigung erstattet hat.

In den USA löste der CBS-Beitrag über die Razzien deutscher Staatsanwälte eine Welle der Empörung aus. Kulturelle Differenzen gab es zwischen den USA und Europa schon immer: Den Amerikanern ist die Redefreiheit heilig, in Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit endet sie dort, wo Persönlichkeitsrechte anderer berührt werden. Anders als in den USA, wo die Netzgiganten Faktenchecks auf Druck der neuen Regierung abgeschafft haben, erlegen die Europäer den Digitalkonzernen Prüfpflichten auf. Das Grundgesetz schützt die Meinungsfreiheit auf der einen Seite, doch wurden die Grenzen auf der anderen Seite in den vergangenen Jahren immer enger gezogen. „Autoritäre Auswüchse“ beklagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki.

Europa muss deshalb wachsam bleiben. Nicht um über irgendwelche Stöckchen der Amerikaner zu springen, auch nicht, um gute Miene zum bösen Trump-Putin-Pakt zu machen, der die Welt in Einflusszonen aufteilen will. Sondern um als Familie starker und meinungsfreudiger Demokratien selbstbestimmt und beieinander zu bleiben.

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