INTERVIEW

„Der Union ist es nicht gelungen, die AfD kleinzuhalten“

von Redaktion

Politikwissenschaftlerin Ursula Münch über das Wahlergebnis und die Konsequenzen

München – Es sind viele Fragen, die sich nach dieser Wahl aufdrängen. Was bedeuten die vorläufigen Ergebnisse für die Parteien und mögliche Koalitionen? Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung, hat die politische Situation für uns eingeordnet. Ein Gespräch direkt am Abend – zwischen zwei Terminen.

Frau Münch, gibt es bei der Wahl für Sie eine große Überraschung?

Am beeindruckendsten finde ich, dass die Frage der Regierungsbildung von ganz knappen Prozentpunkten abhängig ist. Diese Wahl zeigt, wie stark sich die Fünf-Prozent-Hürde auf die Zusammensetzung des Bundestags auswirkt. Wenn die FDP und das BSW nicht drin sind, dann wird die Regierungsbildung zumindest einfacher werden und umgekehrt.

Die SPD hat es nur auf Platz 3 geschafft. Welche Konsequenzen müssen die Sozialdemokraten ziehen?

Für die SPD ist es tatsächlich das schlechteste Ergebnis seit 1890. Ich gehe davon aus, dass Kanzler Olaf Scholz keine Rolle mehr spielen wird. Aber das Ergebnis fällt auch auf die beiden Parteivorsitzenden und den kurzfristig eingesetzten Generalsekretär zurück. Alle Analysten haben den Kopf geschüttelt bei Scholz‘ Versuch, alles schönzureden. Jetzt sieht man: Der Kopf wurde nicht aus Bösartigkeit, sondern zu Recht geschüttelt.

Sind Lars Klingbeil und Saskia Esken noch als SPD-Chefs zu halten?

Wenn jetzt die SPD anfangen würde, erst mal einen Mitgliederentscheid über einen Parteivorsitzenden abzuhalten, würde sich Putin sicherlich die Hände reiben. Das Land ist drauf angewiesen, dass die SPD bereit ist, in eine Koalition hineinzugehen. Noch-Kanzler Scholz hat noch einmal klargemacht: keine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen – auch in Zukunft. Damit hat er signalisiert, Verantwortung zu übernehmen.

Die Union ist zwar Wahlsiegerin, aber es ist auch kein berauschendes Ergebnis. Warum?

Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen kam der Kanzlerkandidat nicht so gut an. Zum anderen konnte die Union nicht so stark von der Unzufriedenheit mit der Ampel profitieren. Denn viele erinnern sich noch an die Unzufriedenheit mit der Großen Koalition unter Angela Merkel. Im Grunde hat es die Union als Opposition nicht geschafft, sich als überzeugende Alternative zur Alternative für Deutschland zu positionieren.

Hat Merz die gemeinsame Abstimmung mit der AfD geholfen oder geschadet?

Innerhalb der Unionsfraktion war sie in kleinen Teilen umstritten. Zumindest in dem liberalen Teil der Unionsanhänger hat es ihm anscheinend eher geschadet. Aber man darf das Ergebnis von der Union auch nicht völlig schlechtreden. Denn wir sind nicht mehr in den Zeiten des alten bundesdeutschen Parteiensystems.

Ist Markus Söders Nein zu den Grünen weiterhin so unverhandelbar?

Das hängt jetzt ganz stark davon ab, ob die FDP in den Bundestag hineinkommt. Mit Blick auf die AfD und die Freien Wähler war das Ausschließen der Grünen von der CSU logisch, aber spätestens nach diesem Wahlergebnis muss man schon darüber nachdenken, wie es jetzt weitergeht.

Die Grünen sind als einzige Ampel-Partei glimpflich davongekommen.

Das liegt an den Stammwählern und dem Spitzenkandidaten der Grünen. Denn Robert Habeck hatte zumindest im Vergleich zu den anderen ganz ordentliche Sympathiewerte.

Ist die AfD also die große Gewinnerin der Wahl?

Natürlich. Zwar hat die AfD gehofft, auf etwa 22 Prozent zu kommen, aber wenn man sich die Absolutzahlen anschaut, ist es ein fulminantes Ergebnis. Da kann man nur sagen: Da sind sämtliche Ankündigungen der Union, die AfD kleiner zu halten, nicht gelungen. Interessant ist, dass die AfD auch in Bayern so stark ist und sich im Vergleich zur letzten Bundestagswahl fast verdoppelt hat.

Woran liegt das?

Der Zuwachs hat sicherlich etwas mit der Wahrnehmung der Sicherheitslage zu tun. Das zeitliche Zusammentreffen zwischen den Anschlägen und der Wahl hat der AfD geholfen. Aber die AfD betreibt auch Desinformationskampagnen in den digitalen Netzwerken, die in diesen Teilöffentlichkeiten überhaupt nicht als Lüge wahrgenommen werden.

Sollten AfD und Linke eine Sperrminorität bekommen, droht dem Parlament dann eine Blockade?

Das würde voraussetzen, dass AfD und Linke zusammenstimmen. Das sehe ich eher nicht so häufig. Es sind unbestritten zwei Parteien an den Polen des Parteiensystems, aber die Abgrenzung der Linken zur AfD gibt es dann doch.


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