Berlin/München – Es war ein gewagtes Manöver. Nach dem Attentat von Aschaffenburg ging Friedrich Merz (CDU) in die Offensive und brachte im Bundestag einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik durch – mit den Stimmen der AfD. Das sorgte für einen Aufschrei. Die Brandmauer zur AfD sei gefallen, so der Vorwurf. Merz blieb unbeeindruckt. Sein Kalkül: Entschlossenheit zeigen und der AfD so Wähler wegnehmen.
Nun hat Deutschland gewählt. Ist der Merz-Plan aufgegangen? Fakt ist: Die Union hat im Saldo 910 000 Wähler an die AfD verloren. Ob Merz einen noch größeren Aderlass verhindert hat, darüber darf man spekulieren. Die AfD gegenüber den Umfragen entscheidend einzuschrumpfen, ist jedenfalls nicht gelungen. Und die angestrebten 30 Prozent plus für die Union hat Merz auch verfehlt. Gewinner ist die Union in der demokratischen Mitte: 1,81 Millionen SPD-Wähler wechselten ins Lager, 1,3 Millionen FDP- und 390 000 Grünen-Wähler. Und: Die Union konnte Nichtwähler mobilisieren – 1,04 Millionen. Für die Union ergibt sich daraus eine interessante Gemengelage. Sie hat in der eher linken Mitte stark zugelegt – und viele Wähler aus dem eigenen rechten Rand verloren. Diese zurückzuholen und zugleich die Wechsler von SPD und Grünen zu bedienen, könnte ein fordernder Spagat werden.
Die Basis für den CDU/CSU-Wahlsieg legten laut der Forschungsgruppe Wahlen mehr denn je ältere Menschen, inhaltlich habe die Union mit ökonomischem Sachverstand und Zukunftskompetenz gepunktet. Friedrich Merz als Person habe nur bedingt überzeugt, aber von der schwachen Konkurrenz profitiert.
Der Verlierer des Abends heißt Olaf Scholz. 2021 war es vor allem er, der die SPD ins Kanzleramt brachte. Scholz war beliebt. Zwei Drittel der Wähler sahen in ihm einen geeigneten Regierungschef, und Scholz machte dem unglücklich agierenden CDU-Kandidaten Armin Laschet die Wähler abspenstig: 1,53 Millionen saugte er der Union ab – und der AfD weitere 260 000. Alles anders am Sonntag: Zwar fanden immer noch 41 Prozent der Wähler Scholz sympathisch (Merz: 24), am Ende steht aber das historisch schlechteste Ergebnis. 2021 verlor die SPD nur an die Grünen und kleinere Parteien, die es nicht in den Bundestag schafften. Am Sonntag war Ausverkauf in alle Richtungen. Heißt im Saldo: 1,81 Mio. Wähler an die Union, 300 000 an die Grünen, 540 000 an die Linke, 410 000 an das BSW – und 680 000 an die AfD.
Die AfD verdoppelte ihr Ergebnis nahezu. Sie holte sich auch massiv Wähler der FDP: 800 000. In geringerem Umfang wanderten auch Grünen- und Linke-Wähler ab. Die AfD wurde laut der Forschungsgruppe Wahlen von 68 Prozent ihrer Anhänger wegen der „politischen Forderungen“ gewählt, nur von 29 Prozent „als Denkzettel“. Das Gefühl der Benachteiligung habe eine große Rolle gespielt, wichtigstes Wahlmotiv war für 92 Prozent der AfD-Wähler aber die Migration (alle Wähler: 62 Prozent).
Der unerwartete Erfolg der Linken nährt sich vor allem aus der SPD und den Grünen. Offenbar ging die Taktik auf, auf soziale Themen wie Miete und Rente zu setzen, die im Migrations-Wahlkampf sonst ziemlich untergingen.
Die Grünen sammelten Stimmen von SPD und FDP und konnten viele Nichtwähler mobilisieren – verloren dafür aber zu viele Stimmen an die Linke und auch an die Union.
Die FDP verlor an alle Parteien, insbesondere Union und AfD. Das BSW trat erstmals an und sammelte bei der SPD und der Linken ein. Auch viele Nichtwähler wählten Sahra Wagenknecht. Ob das gereicht hat, war gestern unklar.
WHA