Friedrich, der Mittelgroße

von Redaktion

Das wird noch ein schwieriger Weg bis zur Koalition: Die Unions-Chefs Friedrich Merz und Markus Söder am Sonntagabend im TV-Studio. © ANDREAS GORA / POOL

München – Der Abend ist jung, und der Baldkanzler will feiern. „Jetzt darf auch mal Rambo-Zambo im Adenauer-Haus sein, heute Abend feiern wir“, ruft Friedrich Merz von der Bühne. Er meint Ramba-Zamba, das ist allen schon klar, man würde es dem sonst so trocken-kantigen Chef auch mal gönnen. Doch wer genau hinschaut in die Gesichter der anderen an diesem Abend gegen 19 Uhr, sieht da wenig Ramba und kaum Zambo, sondern ratsuchende, zweifelnde Mienen: Was anfangen mit diesem Wahlsieg, der so viel kleiner ausgefallen ist als erhofft? Die Union ist in dieser Nacht dem Kater näher als dem Rausch.

Merz ahnt das selbst schon auch. Er muss sich ja nur einmal kurz nach rechts drehen auf der Bühne und ins Gesicht von Markus Söder schauen. Der CSU-Chef ist dabei in Berlin, er klatscht, er gratuliert, aber er wirkt seltsam ernst, lacht kaum. „Du hast die CSU auch weiter an deiner Seite“, sagt er zu Merz. Söder spricht es nicht aus, aber man darf sich dazudenken: Obwohl du dein selbstgestecktes Ziel verfehlt hast, Friedrich.

Tatsächlich sind die Zahlen für die Union ernüchternd. Merz hatte vor der Wahl mit einem besseren, viel besseren Ergebnis gerechnet. Noch im Januar erklärte er, er erwarte ein Wahlergebnis „eher in der zweiten Hälfte der Dreißiger“. Wer ihn kurz vor der Wahl sprach, erlebte zumindest den Optimismus, es werde für einen Endspurt bis klar über 30 reichen. Und nun sieht er die 30 von unten, weit unten. Ja, die Ampel ist abgewählt, die SPD hoch deklassiert, aber die Union erledigt das mit einem der schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte. Wie kann das sein, wo doch der Frust über die Regierung so groß war im Land?

Viele in der Unions-Spitze erwischt das am Sonntagabend kalt. Oft ahnen Politiker schon, was um 18 Uhr an Zahlen auf sie zurollt. Die Nachwahl-Befragungen der großen Institute sickern ab dem frühen Nachmittag durch. Zum ersten Mal herrscht diesmal aber Zahlen-Chaos, jede Stunde neue Daten hin und her hüpfend zwischen 28 und 33 Prozent, die kaum einen seriösen Rückschluss zulassen, welche Koalitionen möglich sind. Es heißt, auch Merz und Söder hätten erst um 17:45 Uhr die Daten erhalten, die wenig später über die Bildschirme flimmern.

Eine Achterbahnfahrt also, Nachkommastellen entscheiden, ob es für Schwarz-Rot reicht. Merz und Söder geben kurz vor 18 Uhr das Kommando an ihre Leute aus, sich schnellstmöglich auf Verhandlungen mit der SPD einzustellen und die Noch-Ampel-Partei freundlich zu behandeln. Merz beginnt das, indem er ein SPD-Schlüsselwort der Scholz-Zeit kapert: „Respekt“ spricht er dem Mitbewerber aus, dankt für den fairen Wahlkampf. Das klang am Samstag, bei der Schlusskundgebung der Union in München, noch ganz anders: „Links ist vorbei“, rief Merz da, bald sei „dieser Spuk vorbei“.

Der Umgang mit der SPD wird sich also fundamental ändern, Auch Söder richtet an seine Parteifreunde in München per Videoschalte die Botschaft, es gebe „keinen Anlass zu feixen“. Seinen Wahlkämpfern, die sich in der CSU-Zentrale versammelt haben, ist eh nicht nach Feixen zumute. Als um 18 Uhr die erste Prognose über die Großbildschirme flimmert, reagiert der Saal mit Schweigen. „Naja“, brummt Söders Finanzminister Albert Füracker, „Regierungsauftrag – aber….“ Der Satz bleibt unvollendet.

Viele hier hoffen vergeblich darauf, dass sich das Ergebnis am Abend dreht, dass die Union bundesweit die 30 übersteigt und die CSU in Bayern die 40, dass man also von einem richtigen Sieg sprechen kann. Je später die Stunde, desto weiter geht‘s runter. Das sei nun doch kein so toller Abend, tippt ein Minister zu später Stunde in sein Handy. Die CSU hat mit ihren Stimmen zwar zweifelsfrei Merz gerettet und jeden Wahlkreis gewonnen, aber bleibt weit unter den Umfragewerten von 40 bis 42 Prozent – holt das drittschlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Und vermutlich werden ein bis drei Wahlkreise in München, Augsburg und Nürnberg nicht zugeteilt, auch Schattenagrarminister Günther Felßner bleibt ohne Mandat.

Die Ursachenforschung läuft, vorerst ohne große Ergebnisse. Die Einigkeit in der Union, die die beiden Parteichefs mühsam errungen und gepflegt haben im Lauf der letzten drei Jahre, überlebt zumindest diesen schwierigen Wahlabend. Sticheleien der CSU gegen Merz bleiben weitgehend aus. Auch sein Migrations-Plan im Bundestag wird rückblickend nicht als Fehler betrachtet, im Gegenteil: Vielleicht war das nach den Anschlägen die einzige Chance, die AfD einzudämmen. „Wir hätten sonst Waterloo erlebt, unter anderem in Ostbayern“, heißt es aus der CSU. Und natürlich Merkel, der Querschuss der Altkanzlerin, der Unmut darüber ist noch immer spürbar.

Und dann ist da noch die Sache mit Hubert Aiwanger. Der Freie-Wähler-Chef scheiterte mit seiner Kandidatur klar und hoch, aber kostete die CSU wohl kräftig Stimmen. Am späteren Abend wird der Söder-Vertraute Füracker da recht deutlich. „Der beschädigt seit Jahren nur die CSU“, schimpft er über Aiwanger, jede FW-Stimme sei verloren – „das ist erwartbar schief gegangen. Schön langsam sollte er es einsehen.“

Wie geht es nun also weiter? Unter den Unionsleuten kursieren ein paar unangenehme Szenarien: Was, wenn die SPD Merz hängen lässt, Verhandlungen bremst? Die Sozialdemokraten haben ja keine große Eile, sie regieren in der Zwischenzeit einfach weiter mit den Grünen. Die zweite große Sorge in CDU und CSU ist, dass es am Ende doch nur mit den Grünen zusätzlich zur SPD klappen würde in einer kunterbunten Koalition. Merz ahnt, dass damit das Regieren im Alltag extrem kompliziert würde. Und Söder, der die Grünen zutiefst ablehnt und Bündnisse ausgeschlossen hat, müsste dann irgendwie vom Baum wieder runterkommen. Diese Kletterübung beginnt bereits am Sonntagabend. Im ZDF schließt er nichts mehr kategorisch aus. Er hoffe, „dass es am Ende für Schwarz-Rot reicht oder im schlimmsten Fall dann lieber für eine Deutschland-Koalition“, also ein Bündnis von Union, SPD und FDP. „Mit den Grünen zu regieren – aus meiner Sicht ein echtes No-Go, wenn es irgendwie geht“, sagt Söder. Wenn.

Merz fordert nun Tempo. Angeblich gab es am Sonntagabend schon ein erstes Telefonat mit SPD-Chef Lars Klingbeil, mehr als nur Glückwünsche zu dessen 47. Geburtstag. „Die Welt wartet nicht auf uns“, sagt der CDU-Chef. „Ich habe den Wunsch, dass wir spätestens Ostern mit einer Regierungsbildung fertig sind.“

Söder selbst will bei den Gesprächen übrigens jede Minute dabei sein, auch wenn er dazu nächste Woche fast täglich zwischen München und Berlin hin- und herfliegen muss. Seine Parteifreunde warnt er bereits vor, er müsse sich die nächste Zeit „noch in Berlin rumdrücken“.

„Rumdrücken“: Nach Rambo-Zambo klingt auch das nun wirklich nicht.

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