Rechte Glücksgefühle: AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel fällt ihrem Co-Parteichef Tino Chrupalla in die Arme. © Stache/AFP
München – Die großen Worte fallen schnell an diesem Abend. „Historisch“ sei das Ergebnis, „sensationell“, alles in allem ein großer Sieg. „Wir haben uns als Volkspartei nun fest verankert“, sagt Alice Weidel oben auf der Bühne. „Man wollte uns halbieren, das Gegenteil ist eingetreten.“ Dann macht sie der etablierten Volkspartei CDU/CSU ein Angebot. „Unsere Hand wird immer ausgestreckt sein für eine Regierungsbeteiligung. Wir sind bereit.“ Das ist mehr ein Signal nach innen als nach außen. Die AfD-Kanzlerkandidatin weiß, dass es dazu kaum kommen wird.
Tatsächlich feiern die Rechtspopulisten am Sonntagabend den größten Sieg ihrer Geschichte. Die Partei hat ihr Ergebnis von vor dreieinhalb Jahren nahezu verdoppelt, wird zweitstärkste Kraft im Bundestag. Im Osten holt sie Spitzenwerte: 40 Prozent im Höcke-Land Thüringen, 43 in Sachsen. Die blaue Welle schwappte hoch, wenn auch nicht ganz so hoch, wie manche meinten. Hier und da hoffte man auf deutlich über 20 Prozent bundesweit und darauf, ein viertel der Sitze im Parlament zu erobern. Damit wäre es möglich, ohne Hilfe anderer Fraktionen Untersuchungsausschüsse einzusetzen und die Etablierten so zu ärgern. Gestern sah es so aus, als reiche es knapp nicht dafür. Klar ist trotzdem: Die derart gestärkte AfD wird das Gewicht im Parlament stark nach rechts verlagern.
Vieles hat die Partei dorthin getragen, wo sie nun ist. Wenig davon war eigenes Zutun. Da waren die Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung, die jüngsten Anschläge von Magdeburg und München und vor allem das internationale Umfeld: Donald Trump führt in den USA gerade vor, wie sich die AfD Regieren vorstellt. FPÖ-Chef Herbert Kickl wäre es in Österreich beinahe gelungen.
Überhaupt war es die rechte Internationale, die sich in den vergangenen Wochen hartnäckig für die AfD ins Zeug legte. Der Tech-Milliardär und Trump-Vertraute Elon Musk warb wochenlang für sie, traf sich mit Alice Weidel zum Online-Gespräch und urteilte, nur die AfD könne „Deutschland retten“. US-Vizepräsident JD Vance traf die Spitzenkandidatin persönlich und forderte ein Ende der Brandmauer. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán empfing Weidel in Budapest schließlich mit so viel Tamtam, als wäre sie ein Staatsgast. Zuletzt gab es auch jede Menge Beifall aus Russland. Putins düsterer Chef-Ideologe Alexander Dugin tippte sich im Online-Netzwerk X die Finger wund. „Wählt die AfD“, schrieb er da, „sonst besetzen wir Deutschland noch mal und teilen es zwischen Russland und den USA auf.“
In der AfD glauben sie, dass diese Wahl zwar wichtig war, aber gleichzeitig nur ein Zwischenschritt. Die Partei spekuliert darauf, dass es auch eine nächste Regierung nicht schaffen wird, die sich verschärfenden Krisen im Land in den Griff zu bekommen. Die Erzählung geht so: CDU-Chef Merz wird notgedrungen mit einer, vielleicht sogar zwei linken Parteien regieren und dafür seinen Kurs, vor allem bei der Migration, abschwächen müssen. Das lässt die Enttäuschung im Land wachsen – und mit ihr die AfD.
2029 ist die Zielmarke, dann will die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei regierungsreif sein. Manche hoffen, dass es früher schon so weit ist. „Eine Regierungsbeteiligung ist ein Schritt, der wirklich nicht mehr weit weg ist“, sagt der bayerische Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer am Sonntagnachmittag, als schon erste Schätzungen die Runde machen. Man sei jetzt in Sphären, in denen es um die Macht geht. „Wir werden die Union, ich schätze in zwei Jahren, überholen. Und dann wird‘s hier sehr interessant.“
Dagegen spricht, dass die AfD bisher keine Anzeichen einer Mäßigung zeigt, die in anderen Ländern die Grundlage rechter Regierungsbeteiligungen ist. In der Partei haben sie dafür das Wort Melonisierung erfunden, in Anspielung auf Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni. Unter den neuen Abgeordneten, die künftig im Bundestag sitzen werden, sind einige, die das verhindern wollen – allen voran der Dresdner Rechtsaußen Maximilian Krah. Im Europaparlament unter anderem wegen der Beschäftigung eines mutmaßlichen China-Spions kaltgestellt, wechselt er nun nach Berlin.
Auch in Bayern kommt die AfD auf ein starkes Ergebnis, rund 20 Abgeordnete könnte sie nach Berlin schicken. Viele behalten ihr Mandat, darunter Landeschef Stephan Protschka, Peter Boehringer oder Rainer Rothfuß, der für den scharfen Kurs der Bayern-AfD bei Migration und Russland verantwortlich ist. Andere kommen neu hinzu. Der Landtagsabgeordnete und Ex-Fraktionschef Ingo Hahn dürfte es auf Listenplatz 16 in den Bundestag schaffen.
In all dem Triumphgeheul ging fast unter, dass die Kanzlerkandidatin selbst ihren Wahlkreis gegen den CDU-Konkurrenten verlor. Sie zieht über die Liste ein. Morgen schon will sich die Fraktion übrigens an symbolträchtigem Ort konstituieren: dem alten Sitzungssaal der alten Volkspartei SPD.