Erschüttert über das AfD-Ergebnis: Christine Busch.
Bergkamen – Gelsenkirchen hat es in die Schlagzeilen geschafft. In der Ruhrgebietsstadt erreichte die AfD 24,7 Prozent der Zweitstimmen und landete damit knapp vor der SPD auf Platz eins. Doch es gibt noch viel mehr Orte im Ruhrgebiet, an denen sich die politische Farbe von Rot ins Blau verliert. In manchen Wahlbezirken in Nordrhein-Westfalens Industrieregion hat fast jeder Zweite sein Kreuz bei der AfD gemacht. Zum Beispiel in Bergkamen.
Hinter dem Wahlbezirk mit der Nummer 1223 steckt das Gebiet rund ums Rathaus in Bergkamen. Hier holte die AfD bei den Zweitstimmen 46,67 Prozent, bei den Erststimmen sogar fast 50. Am Tag danach ist die Wahl Thema an der „Knolle 82“. So heißt der Imbissstand vor dem Rathaus. Hier gibt es Pommes, Kaffee, Currywurst. Eine solche holt sich heute auch Christine Busch. Sie ist Erste Beigeordnete der knapp 50 000 Einwohner starken Stadt im östlichen Ruhrgebiet. Ihre Gemütslage angesichts des AfD-Erfolgs beschreibt die Sozialdemokratin mit „erschüttert“.
Busch vermisst aus Sicht der SPD das „klassische Wählerpotenzial der Bergleute“, die sich für die Gesellschaft engagiert und zusammengestanden haben. Bergkamen war früher eine bedeutende Bergbaustadt. In den 80/90er-Jahren galt die Stadt im Kreis Unna aufgrund der hohen Fördermenge als größte Bergbaustadt Europas. Doch heute liegt der Arbeitslosenanteil um die zehn Prozent. Die Stadt gehört zu den einkommensschwächsten Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. In der Tabelle des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte rangierte Bergkamen unter allen Kommunen in NRW 2022 auf Platz 388. Letzter war auf Platz 396 – Gelsenkirchen.
Warum ist die AfD hier so stark? Busch spricht von einer „Überbetonung des Themas Migration“. Man lebe hier doch gut und friedlich zusammen. Andere allerdings schildern, sie fühlten sich nicht mehr so sicher. Eine Frau, die aus einer nahen Apotheke kommt, sagt, dass sie sich nachts nicht mehr auf die Straße traue. Bergkamen habe sich verändert. Was sie auch stört, ist, dass viele der Empfänger von staatlichen Leistungen genau wüssten, wie sie wo Geld herbekommen. Die SPD hat in ihrer früheren Herzkammer, dem Ruhrgebiet, neben der Sicherheit offenbar auch das Thema soziale Gerechtigkeit verschlafen. Zwar fuhr die SPD in einigen Orten im Ruhrgebiet, etwa Bochum und Dortmund, erneut den Zweitstimmen-Sieg ein. Dennoch hat sie in jedem Wahlkreis in NRW Verluste gemacht. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Nach Daten von infratest dimap drängt die AfD immer weiter vor in Wählermilieus, die vorher von den Sozialdemokraten bespielt worden sind. Unter den Arbeitern war sie mit 34 Prozent stärkste Kraft, die SPD kam hier auf nur noch 20 Prozent.
Das Bild der Stadtmitte in Bergkamen wird geprägt von der riesigen Trümmerlandschaft eines abgerissenen Gebäudekomplexes. Passend zur Tristesse klingt diese Aussage am Tag nach der Wahl: „Scholz oder Merz, es ändert sich eh nix.“
ALEXANDER SCHÄFER