Berlin – Ein bisschen widersprüchlich ist es ja schon. Nachdem er mit 85,6 Prozent zum neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD gewählt worden ist, spricht Lars Klingbeil von einem „ehrlichen Ergebnis.“ Kurz darauf sieht er aber auch ein „starkes Mandat für die Verhandlungen“ mit CDU und CSU. „Wir haben ein Interesse daran, dass diese Gespräche schnell, aber auch gründlich geführt werden.“
Vermutlich ist beides richtig. Die SPD hat sich aufgestellt, Klingbeil hat nun den Auftrag. Doch sein Ergebnis ist mittelmäßig. Zum Vergleich: Vorgänger Rolf Mützenich war 2019 mit 97,7 Prozent an die Fraktionsspitze gewählt und 2021 mit 97 Prozent im Amt bestätigt worden. Der Sonntag stecke allen „noch in den Knochen“ und „wird uns noch lange beschäftigen“, sagt der 47-Jährige. „Es wird eine Fehleranalyse geben und daraus werden Konsequenzen abgeleitet.“
Dieses Versprechen ist dringend notwendig, denn einige sind nicht vom Automatismus begeistert, mit dem es in der SPD nun auf Klingbeil zulief. Noch in der Wahlnacht hatte Mützenich erklärt, Klingbeil solle sein Nachfolger werden. Obwohl der Parteichef für das Abschneiden der SPD natürlich verantwortlich war.
Der frühere Parteistratege Matthias Machnig monierte, die Parteivorsitzenden hätten in dieser Situation „Nachdenken und Selbstreflexion vor Aktionismus“ stellen sollen. „Stattdessen hat Klingbeil das politische Vakuum in der Nacht zu seinen Gunsten genutzt. Das ist eine Art Selbstermächtigung oder gar Bonapartismus.“ Auch der Bremer SPD-Landeschef Falk Wagner schimpfte: „Bei unserer Parteibasis kam es überhaupt nicht gut an, dass der Parteivorsitzende im Moment der bittersten Niederlage einen Spitzenposten mit sich selbst besetzt.“
Offen ist, wie lange Klingbeil Fraktionschef bleibt. Sollten Koalitionsverhandlungen erfolgreich enden und Union und SPD eine Regierung bilden, werden die Karten noch einmal neu gemischt. Klingbeil könnte dann Minister und Vizekanzler werden, um sich damit auch für die Kanzlerkandidatur bei der nächsten Wahl zu positionieren.
MM