Einig in Wien: (v.li.) Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger, ÖVP-Chef Christian Stocker und SPÖ-Chef Andreas Babler in der Präsidentschaftskanzlei. © dpa
Wien – In Wien stehen am Donnerstagmittag drei auf der Bühne, die sehr unterschiedlich sind, und alles dafür tun, große Einigkeit auszustrahlen. ÖVP-Chef Christian Stocker – der kommende Kanzler Österreichs – und seine künftigen Koaltionspartner, SPÖ-Chef Andreas Babler und Neos-Chefin Meinl-Reisinger. Auch wenn es nicht exakt passt: Die ÖVP entspricht am ehesten der deutschen Union, die SPÖ der SPD und die Neos der FDP. In Berlin spräche man von den Parteifarben abgeleitet also von einem Deutschland-Bündnis. In Wien heißt es „Zuckerl“, wenn es polistisch so bunt wird.
Dieses Zuckerl ist Österreichs erste Dreier-Koalition, und sie kommt erst im zweiten Anlauf zustande. Schon nach der Wahl im September – die die rechte FPÖ gewann – versuchten ÖVP, SPÖ und Neos eine Koalition zu schmieden. Im Januar platzten die Verhandlungen. Danach versuchten es ÖVP und SPÖ zu zweit, ebenfalls erfolglos, bis schließlich ÖVP und FPÖ miteinander in Gespräche gingen. Deren Chef Herbert Kickl konnte sich gute Chancen ausrechnen, nun der „Volkskanzler“ zu werden, der er immer sein wollte. Europäische Nachbarn und Partner fürchteten bereits, Österreich könne sich zu einer Art zweitem Ungarn entwickeln. Doch der russlandfreundliche und EU-kritische Kurs der FPÖ in der Außenpolitik war der ÖVP am Ende zu viel. Die Verhandlungen scheiterten. Nun – innerhalb von nur rund zwei Wochen – fanden die Zuckerl-Partner doch noch zusammen, sofern am Sonntag auch noch die Neos-Mitglieder zustimmen. Wie kommt‘s? Man habe sich „nicht auf Minimalkompromisse runtergehandelt, sondern Vorstellungen aller Parteien vereint“, sagt Stocker.
Was dabei herauskam, sieht so aus: Im Bereich Asyl- und Migration sind Reformen geplant. Der Familiennachzug für Migranten soll „mit sofortiger Wirkung“ ausgesetzt werden. Für Flüchtlinge wird ein verpflichtendes Integrationsprogramm eingeführt, das sofort nach der Ankunft einsetzt. „Wer dauerhaft bei uns leben will, muss auch unsere Werte verinnerlichen, die Sprache lernen und arbeiten gehen“, sagt Stocker. Bei Asylverfahren sollen standardisiert Audio-Aufnahmen mitlaufen, um die Verfahren transparenter und schneller abzuwickeln. Zudem behalte man sich vor, einen Asylstopp zu verhängen, sollte dies nötig sein. Ebenfalls interessant: Angesichts der jüngsten islamistischen Terroranschläge auch in Bayerns Nachbarland wollen sich die Mitte-Parteien für eine stärkere Regulierung von radikalen Inhalten auf Online-Plattformen wie Tiktok einsetzen. Und: Für Jugendliche unter 14 Jahren ist ein Kopftuchverbot geplant.
Ein weiterer Kernpunkt: Die Mietpreise sollen für einen Teil des Wohnungsmarkts ein Jahr lang eingefroren werden und mittelfristig nur noch moderat steigen. Hintergrund: Weil Mietpreiserhöhungen in Österreich an die Inflation gekoppelt sind, gab es zuletzt starke Erhöhungen.
Anders als die FPÖ bekennt sich das Bündnis zudem klar zur EU und zur Unterstützung der Ukraine, hält aber auch an der Neutralität der Alpenrepublik fest. Ein Ukraine-Koordinator soll eingesetzt werden, es geht dabei um humanitäre Hilfe. Es soll aber auch das Bundesheer mit jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufgerüstet werden. Herausforderung: Gleichzeitig soll das defizitäre österreichische Budget über die kommenden Jahre konsolidiert werden
Auch in der Medienpolitik hat die Zuckerl-Koalition Veränderungen vor. Der öffentlich-rechtliche ORF soll „unter Einbeziehung der Bevölkerung“ schlanker und bürgernaher werden. Gleichzeitig will die kommende Regierung Zeitungszustellung und Qualitätsmedien stärker fördern – etwa mit vergünstigten Abos für junge Menschen. „Wir wollen auch etwas für die Köpfe in unserem Land tun“, sagt SPÖ-Chef Babler.
Kickl, der verhinderte FPÖ-Kanzler und künftige Oppositionspolitiker, zeigt sich in einer ersten Reaktion auf die Pläne wenig angetan. „Die teuerste Regierung aller Zeiten präsentiert uns das schlechteste Programm aller Zeiten – ein Tiefpunkt für Österreich.“