Sondierer brauchen mehr Zeit

von Redaktion

Die Unterhändler, fotografiert auf dem Bundestags-Balkon. © Ralf Hirschberger/AFP

Also doch wieder Balkon-Fotos: Friedrich Merz knipst Dorothee Bär. Das sieht lockerer aus, als die Gespräche in Wahrheit verlaufen. © Ralf Hirschberger/AFP

Berlin – Gemessen an Äußerlichkeiten, geht es leger zu unter den Sondierern. Der SPD-Generalsekretär und der CSU-Chef sitzen im Pulli in der Runde, Krawatte trägt keiner. CSU-Vize Dorothee Bär setzt sich in einer Pause auf einem Balkonstuhl in die Sonne, legt die Füße auf einen Blumentopf, Bald-Kanzler Friedrich Merz macht mit dem Handy Fotos von ihr. Die Damen und Herren von Union und SPD wissen natürlich, dass gegenüber Fotografen des Bundestagsgebäudes, fünfter Stock, stehen und die Szene festhalten, sie winken sogar. Der Vorsatz von Markus Söder aus den letzten Tagen, auf seltsame Fotos und Selfies vom Verhandeln werde diesmal verzichtet, hält also nicht lange. Dafür soll der Eindruck vermittelt werden, die Gesprächsatmosphäre sei gut. Doch ist sie das wirklich?

Was bisher aus den Gesprächen dringt, und das ist eher wenig, deutet auf noch erhebliche Differenzen hin. Der erste grobe Plan, Freitagabend durch zu sein mit dem Sondieren, ist gekippt. Am Samstag folgen weitere Gespräche. Aus der SPD kommt der spitze Hinweis, man hätte ja auch gern am Aschermittwoch sondiert, CDU und SPD hätten ihre Terminkalender dafür freigeräumt – Söder tat das nicht. Nun wird eben das Wochenende genutzt, um Eckpunkte vorzubereiten, mit denen alle Parteien am Montagmorgen in die Gremiensitzungen gehen und über den nächsten Schritt reden können: die offizielle Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Das große Thema Geld ist zum Teil abgeräumt, seit sich Mitte der Woche die Unterhändler auf viel höhere Verteidigungsausgaben und eine halbe Infrastruktur-Billion einigten. Hier liefen am Freitag parallel Gespräche mit den Grünen, um sie für eine breite Bundestags- und Bundesrats-Mehrheit zu gewinnen. Gerungen wird intern zwischen Union und SPD wohl noch über das Bürgergeld, das CSU und CDU gerne umbauen und in „Grundsicherung“ umbenennen würden. Hier deutet sich an, dass die SPD zumindest bei Arbeitsverweigerern härtere Sanktionen mitgehen will. Darüber wurde am Freitag gesprochen. Noch unbekannt ist, wie die Konzepte zu Steuern und Rente zueinander finden.

Das schwierigste Thema dürfte die Migrationspolitik sein. Merz hat im Wahlkampf seinen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt, inklusive Grenzschließung für Flüchtlinge, und für nicht verhandelbar erklärt. SPD-Chef Lars Klingbeil hat diese Woche in einer TV-Talkshow gekontert, keinesfalls die Grenzen dicht zu machen. Vom linken Flügel seiner Partei kamen noch kritischere Töne zu den Merz-Forderungen. In der Union gibt es hingegen Murren, dass der CDU-Kanzlerkandidat beim Asyl nicht nachgeben dürfe; das sei ein „Kernanliegen“. Auch den sofortigen Stopp des Familiennachzugs verlangen Unions-Leute und verweisen auf die neue Regierung in Österreich, die genau das soeben verfügt hat.

Unterhändler bemühen sich vor Samstag um Deeskalation. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, man brauche noch Zeit, habe aber beiderseits den Willen zur Annäherung. Entscheidend sei, dass alle wüssten, „dass man auch in einer Koalition, die man bilden will, aufeinander Rücksicht nehmen muss“. Einen direkten Kommentar zu Klingbeil verkniff sich Dobrindt: „Wir haben ein sehr gutes Gesprächsklima in diesem Raum, und wir wollen uns nicht auf Themen beziehen, die außerhalb stattfinden.“ Die SPD-Verhandlerin Manuela Schwesig sagte: „Migration ist ein wichtiges Thema und alle wissen, dass so wie es ist, es auch nicht bleiben kann.“

Unterdessen kommt aus der katholischen Kirche eine mahnende Stimme zur Migrationspolitik: Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat in seinem Fastenhirtenbrief die politischen Parteien erneut dazu aufgerufen, die Würde des Menschen im Blick zu halten und sich für eine „wirkliche Willkommenskultur“ einzusetzen. Es könne nicht sein, dass „Menschen, die vor Hunger und Klimakatastrophen, Verfolgung, Folter, Krieg und Gewalt fliehen, an unseren Grenzen zurückgeschickt werden“. Sie als Bedrohung anzusehen und auszugrenzen, sei „nicht nur unchristlich, sondern unvernünftig“. Den Streit mit Söder, der vor der Wahl die Kirchen zu mehr politischer Zurückhaltung aufgefordert hatte, dürfte das anheizen.

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