Maulkorb für den BND? Scholz und Merkel hielten offenbar Corona-Erkenntnisse zurück. © von Jutrczenka/dpa
Berlin – Der Bundesnachrichtendienst geht zu „80 bis 95 Prozent Wahrscheinlichkeit“ davon aus, dass das Coronavirus durch einen Laborunfall im chinesischen Wuhan verbreitet wurde. Doch diese Geheimdienst-Erkenntnisse wurden sowohl von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als auch von Kanzler Olaf Scholz (SPD) unter Verschluss gehalten. Das ergaben neue Recherchen der „Zeit“ und der „SZ“.
Nun fragt sich, ob gleich zwei Regierungen die brisante Information zurückhielten, um eine schmerzhafte Debatte mit China zu verhindern. Oder ob die BND-Erkenntnisse dem Kanzleramt einfach zu vage waren. Fakt ist: Gleich zu Beginn der Pandemie 2020 wurden BND-Agenten unter dem Codenamen „Saaremaa“ vom Kanzleramt damit beauftragt, nach dem Ursprung des Virus zu forschen. In Wuhan stießen die Agenten auf unveröffentlichte Daten sowie interne Papiere chinesischer Forscher. Neben Hinweisen auf riskante Experimente, bei denen in der Natur vorkommende Viren künstlich verändert wurden, soll das Material aus dem „Wuhan Institut für Virologie“ auch zahlreiche Verstöße gegen Vorschriften für die Labor-Sicherheit nachweisen.
Kombiniert mit bekannten Informationen kamen die BND-Experten zu dem Schluss: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 95 Prozent stamme das Coronavirus aus dem Labor in Wuhan. Doch Merkels Kanzleramt entschied, die brisante Einschätzung unter Verschluss zu halten. Altkanzlerin Merkel wollte sich auf Anfrage der Medien nicht dazu äußern, ob sie von dem Vorgang Kenntnis erhielt. Der damalige Kanzleramtsminister Helge Braun und der für die Nachrichtendienste zuständige Staatssekretär, Johannes Geismann, sagten ebenfalls nichts.
Direkt nach dem Regierungswechsel von Merkel zu Olaf Scholz (SPD) habe BND-Chef Bruno Kahl das Kanzleramt erneut persönlich informiert. Das für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages sei hingegen nicht unterrichtet worden, ebenso wenig wie die Weltgesundheitsorganisation.
Ende 2024 entschied die Bundesregierung dem Bericht zufolge, externe Experten mit der Überprüfung der BND-Erkenntnisse zu beauftragen. Zu der Gruppe gehörten der Präsident des Robert-Koch-Institutes, Lars Schade, und der Berliner Virologe Christian Drosten. Ein abschließendes Ergebnis liege noch nicht vor.
Im August 2021 hatte bereits die Gemeinschaft der Nachrichtendienste der USA einen Bericht veröffentlicht, wonach die Pandemie zwar nicht von der chinesischen Regierung geplant worden sei, die Biowaffen-Hypothese also ausgeschlossen werde. Das FBI kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Pandemie wahrscheinlich auf die versehentliche Freisetzung eines Virus aus dem Labor zurückgehe.
Die anderen US-Geheimdienste hielten dagegen eine zoonotische Entstehung für wahrscheinlicher, also die Möglichkeit, dass das Virus von Wildtieren wie Fledermäusen auf den Menschen übergesprungen sei.
KLAUS RIMPEL