INTERVIEW

„Trump will Putin an seiner Seite“

von Redaktion

Der Philosoph Vittorio Hösle spricht über die Gefahren für Europa

Zwei, die sich verstehen: Wladimir Putin (l.) und Donald Trump, unterhalten sich auf dem G20-Gipfel 2019 in Osaka. © Evan Vucci/dpa

München – Trump und Putin, die heute miteinander telefonieren wollen, ähneln sich auf bedrückende Weise. Der deutsch-italienische Philosoph Vittorio Hösle (64), der seit 25 Jahren an der University of Notre Dame in Indiana lehrt, skizziert, was das für uns bedeutet.

Prof. Hösle, wie ist die Stimmung im Land nach fast zwei Monaten Trump?

Die ökonomischen Probleme des Landes werden immer größer, die USA bewegen sich auf eine Rezession zu. Das löst Ärger aus, genauso wie die maßlosen Stellenstreichungen in den Behörden. Denn die haben direkte Konsequenzen, zum Beispiel für die Bearbeitung von Krankenversicherungsanträgen. Es ist ein Grummeln zu spüren. Was mich aber insgesamt sehr bedrückt, ist die weitgehende Paralyse des Landes. Große Demonstrationen wie 2017 gibt es nicht. Trumps Gegner haben sich damit abgefunden, dass sie durch diese vier Jahre durchmüssen.

Seine Zollpolitik fällt ihm schon auf die Füße. Hat das einen Lerneffekt?

Er ist nicht der Typ, der aus Fehlern lernt. Stattdessen wird er etwas anderes tun: Ich befürchte, um von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken, wird er außenpolitische Abenteuer unternehmen. Die Androhung, Grönland zu besetzen, ist absolut real. Man kündigt so etwas nicht ein paar Mal an, wenn man keine Pläne hat.

Sie glauben, er hat etwas in der Schublade liegen?

Selbstverständlich. Die Folgen wären natürlich grauenhaft, weil wir innerhalb der Nato einen Angriffskrieg hätten. Das wäre auch ein massives Problem für die EU. Grönland ist zwar kein EU-Mitglied, seine Bürger haben aber alle die dänische Staatsangehörigkeit, sind also EU-Bürger. Und die EU wäre im Falle einer Annexion vertraglich verpflichtet, ihnen zu helfen. Vergessen Sie übrigens nicht, dass Trump gerade Ministerien und Streitkräfte mit Loyalisten besetzt. Diese Leute werden tun, was er sagt.

Er denkt offenbar wie die Diktatoren, die er bewundert. Besonders Putin…

Das gilt auch für einen Teil der Republikaner, die sagen: Wenn man zwischen China und Russland wählen muss, ist Russland viel besser. Denn es ist ein christliches Land und die Russen sind im Grunde wie wir: Sie hassen alles Woke, den Feminismus, all dieses Zeug. Wenn es zu einem globalen Konflikt kommen sollte, dann wollen sie Putin an ihrer Seite. Das ist übrigens eine der wenigen konstanten Ideen in Trumps Denken. Um diese Allianz zu ermöglichen, ist er ohne jeden Zweifel bereit, die Europäer ihrem Schicksal zu überlassen.

Europa will massiv aufrüsten. Kommt das zu spät?

Ich hoffe nicht. Aber ich fürchte, eines ist noch nicht begriffen worden: Es hilft nichts, immer neue Superprogramme mit immer mehr Geld in die Wege zu leiten. Man muss eine Armee mit Soldaten haben, die bereit sind, zu töten und zu sterben. Sonst kann man einen Krieg nicht gewinnen. Mentalitätsmäßig fehlt da sehr viel, besonders in Deutschland.

Trumps Vize JD Vance warf Europa kürzlich abwertend vor, keine Kriegserfahrung zu haben…

Prinzipiell stimmt das, Kriegserfahrung ist entscheidend. Das ist einer der Gründe, warum Aggressoren vorher auf kleineren Gebieten üben lassen. Die Beteiligung Russlands in Syrien war eine Übung für einen großen Konflikt. Und ich glaube auch, dass die nordkoreanischen Soldaten, die mit Russland kämpfen, auf Größeres vorbereitet werden sollen. Um es ganz klar zu sagen: Die Möglichkeit eines Weltkrieges mit China, Russland, Iran und Nordkorea gegen die westliche Ordnung ist eine absolut reale.

Ist das nicht eine sehr theoretische Gefahr? Iran und Russland sind geschwächt.

Das stimmt so nicht. Russland hat ein Volk mit einer außerordentlichen Hartnäckigkeit und Leidensfähigkeit. Ja, die Verluste im Krieg gegen die Ukraine sind hoch. Aber wenn Putin sich zur Generalmobilmachung entscheiden sollte, kriegt er zwei Millionen Soldaten. Und es ist nicht einfach, so eine Armee zu stoppen. Deswegen braucht es Abschreckung und einen militärischen Geist, der natürlich nur zu Verteidigungszwecken eingesetzt werden darf.

Es gibt jedenfalls sehr konkrete Warnungen, dass Putin bis 2030 einen Nato-Staat angreifen könnte.

Ich und andere glauben, dass Putin die Ukraine schon 2020 angreifen wollte, aber Covid dazwischenkam. Als es 2022 so weit war, stieß er mit Joe Biden auf einen US-Präsidenten, der sehr entschlossen war, der Ukraine zu helfen. Er wird jetzt ganz sicher nicht zum zweiten Mal die Gelegenheit einer Trump-Präsidentschaft verstreichen lassen. Ich bin fest überzeugt, dass er vor 2028 ein anderes Land angreifen wird. Vielleicht wäre er 2029 besser vorbereitet. Aber es geht in der Politik nicht um das, was man an sich hat. Macht ist eine Relation: Ich muss mehr Waffen und mehr Willen haben als meine Gegner.

Wie sieht Ihr Szenario aus?

Ein Angriff auf Moldawien oder Georgien scheint mir wahrscheinlich, Putin könnte so noch mal testen, was passiert. Ich glaube aber, der Angriff, an dem sich ein großer Krieg entzünden könnte, wird in der Ostsee passieren. Das Baltikum ist symbolisch sehr wichtig für die Russen. Peter der Große hat es Russland endgültig einverleibt und sein Verlust ist für Putin besonders schwer zu verwinden. Selbst Hitler wusste, dass das Baltikum identitätsrelevant für die Sowjetunion ist, und überließ es 1939 Stalin.

Glauben Sie, die USA würden Europa in so einem Fall hängen lassen?

Das ist absolut möglich. Das schlimmste Szenario ist, dass Putin Trump bei einem Treffen zu überzeugen versucht, sich Grönland einzuverleiben. Das würde nicht nur einen endgültigen Keil zwischen Amerika und Europas Staaten treiben, sondern auch China ermutigen, mit Taiwan kurzen Prozess zu machen. Die USA würden sich dann auf China konzentrieren, und Europa wäre auf sich gestellt.

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