Ärger über Baerbocks Posten

von Redaktion

Bald ihr Dienstpult: Annalena Baerbock spricht vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen. © Mary Altaffer/dpa

Die gute Laune ist vorbei: Annalena Baerbock bekommt den Posten bei den Vereinten Nationen, der eigentlich für Helga Schmid (rechts) vorgesehen war. © Koehler/photothek

München – Christoph Heusgen ist mit dem Geschäft der Diplomatie bestens vertraut. Schon 1980 trat er in den Auswärtigen Dienst ein – das Jahr, in dem Annalena Baerbock geboren wurde. Später war er in Sachen Außenpolitik zwölf Jahre lang der wichtigste Zuflüsterer von Angela Merkel, danach deutscher UN-Botschafter in New York. Der Mann kennt die Materie also bestens. Umso härter wiegt sein Urteil.

Dass Baerbock statt Helga Schmid (64) die deutsche Kandidatin für den Vorsitz der UN-Generalversammlung in der Sitzungsperiode 2025/26 werden soll, treibt Heusgen offensichtlich die Zornesröte ins Gesicht. „Es ist eine Unverschämtheit, die beste und international erfahrenste deutsche Diplomatin durch ein Auslaufmodell zu ersetzen“, sagte Heusgen – wenig diplomatisch – dem „Tagesspiegel“.

Auch andere Experten scheint das Thema umzutreiben. Wolfgang Ischinger, Ex-Botschafter und lange Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, fragte auf X unter einem entsprechenden Post: „Selbstbedienung??“ Ihm antwortete der ehemalige Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer: „Selbstbedienung. Leider.“ Auch der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) kritisierte die Entscheidung. Schmid sei „eine großartige Diplomatin“ und: „Frau Baerbock kann viel von ihr lernen.“

War Baerbocks Posten Teil der Schuldendeals zwischen Schwarz-Rot und den Grünen?

Es brodelt jedenfalls gewaltig in der außenpolitischen Blase – was mit Baerbock selbst zu tun hat, aber auch mit der Frau, die sie nun verdrängt: Helga Schmid. Die gebürtige Oberbayerin (Dachau), die an der LMU in München studierte, hat sich in der Szene einen ausgezeichneten Namen erworben. Zuletzt war sie Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Zu Schmids größten Förderern zählte einst der Grüne Joschka Fischer in seiner Zeit als Außenminister (1998-2005). Er machte die Diplomatin 2003 zur Leiterin seines Ministerbüros, nachdem sie zuvor unter anderem in der Botschaft in Washington und als Beraterin von Fischers Vorgänger Klaus Kinkel (FDP) gearbeitet hatte. Später gehörte sie zu den Architektinnen des Nuklearabkommen mit dem Iran.

Heusgen lobte die Leistung Schmids ausdrücklich. Dagegen bezeichnete er die Ministerin Baerbock in der „Rheinischen Post“ als „polarisierende Politikerin, die sich mehr durch markige Presseerklärungen profiliert hat als durch hartnäckige Kärrnerarbeit“.

Das Amt der Präsidentin der UN-Generalversammlung ist nicht mit dem des UN-Generalsekretärs António Guterres zu verwechseln. Baerbocks Präsidenten-Vorgänger bei der Generalversammlung fielen vor allem mit repräsentativen Aufgaben auf. Sie leiteten Plenarsitzungen und achteten darauf, dass die Geschäftsordnung eingehalten wird. Doch die 44-Jährige könnte im neuen Job auch thematische Debatten anstoßen und Berichte vorlegen oder eine Vermittlerrolle bei Konsultationen und Verhandlungen zu wichtigen UN-Themen spielen. Als Präsidentin aller Länder müsste sie sich allerdings mit allzu politischen Aussagen zurückhalten. Die Bundesregierung verteidigte gestern die Entscheidung. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, die Außenministerin sei „hochqualifiziert für den Job“ und „hoch anerkannt“.

Schmid soll nun als stellvertretende Präsidentin des Stiftungsrats der Münchner Sicherheitskonferenz gemeinsam mit dessen Präsident Wolfgang Ischinger vorerst die operativen Geschäfte führen – bis der künftige Konferenz-Vorsitzende, Ex-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, seinen Posten antreten könne.

Tatsächlich überrascht die neue Karriere Baerbocks viele: Erst vor zwei Wochen hatte sie den Verzicht auf eine Führungsrolle bei den Grünen mit persönlichen Motiven begründet. „Zugleich hatten diese intensiven Jahre auch einen privaten Preis“, schrieb sie in einem Brief an die Fraktion. „Daher habe ich mich aus persönlichen Gründen entschieden, erst einmal einen Schritt aus dem grellen Scheinwerferlicht zu machen.“ Jetzt wird sie ihr Bundestagsmandat niederlegen und zumindest für ein Jahr nach New York ziehen. Laut „Bild“ werden ihre Töchter (9 und 13) sie begleiten.

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