Der Mann im Spiegel: Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Wirtschaftsminister, stimmte trotz Vorbehalten für das Schuldenpaket. © Peter Kneffel/dpa
München – In Berlin ist vom bayerischen Koalitionsknistern am Freitagvormittag nur ein bisschen was zu spüren. Ein schlichtes „Ja“ aus Markus Söders Mund besiegelt im Bundesrat die Zustimmung des Freistaats zum Riesen-Schuldenpaket, das Union und SPD mithilfe der Grünen auf die Beine gestellt haben. Zumindest eine kleine Spitze gegen Koalitionspartner Hubert Aiwanger kann sich Söder aber doch nicht verkneifen. „Bayern stimmt natürlich zu. Das war von Anfang an klar“, sagt er in seiner Rede. Gelächter.
Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident, ist seinem Terminplan zufolge da gerade auf der Landshuter Umweltmesse. Doch 550 Kilometer räumliche Distanz ändern nichts daran, dass auch er in diesem Moment mit zustimmt. Der Anführer der Freien Wähler (FW) hatte zuletzt nach kurzem Hickhack trotz Vorbehalten eingelenkt. Bayern muss sich damit nicht enthalten, wie es üblich ist, wenn sich die Koalition nicht einigt. Die Zweidrittelmehrheit im Bundesrat steht (auch ohne Bayern hätte es übrigens gereicht). Die Schuldenbremse wird für Verteidigungsausgaben gelockert, ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz wird aufgelegt, auch die Länder-Finanzen profitieren.
Doch zu Hause in München flammt der dauerschwelende Ärger zwischen den Partnern erneut auf. Denn Aiwanger wird nicht müde zu betonen, dass er nicht freiwillig beigedreht habe, sondern Söder ihm die Pistole auf die Brust setzte. Hätte er sich quergestellt, wäre er „schon heute entlassen und am Freitag würde ohne mich die Hand gehoben“, sagte der Niederbayer zu RTL. „Was, wenn ich dann ein toter Held bin?“ Seine Devise: Wenn man das Schlimmste schon nicht verhindern kann, wolle man wenigstens bei der Umsetzung der Pläne mitreden, anstatt „das auch noch der SPD zu überlassen“. Denn mit den Sozialdemokraten hätte die CSU im Landtag notfalls auch eine – äußerst knappe – Ersatz-Mehrheit.
Aiwanger, ein verhinderter Märtyrer, der Bayern vor den Sozialdemokraten gerettet hat – oder doch nur ein „Maulheld“, wie politische Gegner spotten? Der FDP, die das Schuldenpaket mit einer Klage auf den letzten Metern verhindern wollte, habe er sogar heimlich die Daumen gedrückt, verriet der FW-Chef im BR.
Die CSU ist nicht nur angesichts solcher Aussagen schwer genervt vom obersten Koalitionspartner. „Aiwangers Egotrips inklusive seinem peinlichen Scheitern bei der Bundestagswahl werden zunehmend zu einem massiven Problem für die Freien Wähler“, sagt Landtags-Fraktionschef Klaus Holetschek unserer Zeitung. Zur Erinnerung: Der Plan, die Freien Wähler über den Umweg von drei Direktmandaten zu einem Faktor in der Bundespolitik zu machen, ist am 24. Februar nicht aufgegangen. Dass wie zuletzt in Planegg auch noch ein ganzer Verband austritt, zeige, „dass es an ihrer Basis massiv bröckelt“, legt Holetschek nach.
Und ganz aktuell: Mit dem „Versuch einer Blockade der für Kommunen und Freistaat wichtigen Entscheidung im Bundesrat hat Aiwanger das Ansehen Bayerns massiv geschädigt“, sagt Holetschek. Der „interne Richtungsstreit“ bei den Freien Wählern werde damit „leider auch zu einer Belastung für unsere Bayernkoalition“. Aussagen, die darauf anspielen dürften, dass zuletzt der ehrgeizige Digitalminister Fabian Mehring eine Weiterentwicklung der Freien Wähler gefordert hatte. „Das alleinige Konzept einer Landwirtspartei mit hartem Asylkurs trägt uns nicht bundesweit und schrumpft uns auf Dauer auch in Bayern“, hatte der nach der Wahl gesagt.
Gleichzeitig betont Holetschek, dass es nicht die Freien Wähler an sich sind, mit denen man ein Problem hat, sondern speziell deren Parteichef. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen im Parlament „und insbesondere mit Florian Streibl an der Spitze“ sei nämlich „absolut vertrauensvoll“. Auch mit den FW-Kabinettsmitgliedern finde man rasch eine Linie – ein Beispiel sei Kultusministerin Anna Stolz. An Aiwanger persönlich gibt Holetschek hingegen den Ratschlag: „Jammern einstellen und arbeiten für Bayern!“