Hitzige Stimmung in Istanbul: Ein Demonstrant schwenkt die türkische Fahne – hinter ihm ist ein großes Polizeiaufgebot aufmarschiert © Kemal Aslan/AFP
Istanbul – Der türkische Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu ist als Istanbuler Bürgermeister „vorübergehend“ abgesetzt worden. Das teilte das türkische Innenministerium mit und begründete es mit der Untersuchungshaft, die im Zusammenhang mit Korruptionsermittlungen gegen Imamoglu verhängt wurde. Auch die Bürgermeister der Istanbuler Gemeinden Beylikdüzü und Sisli wurden abgesetzt, in Sisli wurde ein Zwangsverwalter bestimmt.
In der Türkei wurden bereits zahlreiche Bürgermeister der prokurdischen Dem-Partei und kürzlich auch der sozialdemokratischen CHP, der Imamoglu angehört, wegen Ermittlungen ihres Amtes enthoben und in einem weiteren Schritt dann durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt. Die Absetzung des Bürgermeisters der 16-Millionen-Metropole Istanbul aber ist ein beispielloser Vorgang.
Die Anordnung der Untersuchungshaft erfolgte in Verbindung mit den Korruptionsermittlungen, gegen Imamoglu wird aber auch wegen Terrorvorwürfen ermittelt. In beiden Verfahren wird gegen 106 Personen ermittelt. Imamoglu weist alle Vorwürfe zurück.
Seine Partei kritisierte das Vorgehen gegen den populären Politiker als Putschversuch vonseiten der Regierung. Man wolle so einen politischen Konkurrenten ausschalten. Die Partei steht weiter hinter Imamoglu: Am Sonntagabend stellte ihn die CHP als Präsidentschaftskandidat auf. Imamoglu gilt als aussichtsreicher Gegenkandidat des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei einer kommenden Präsidentschaftswahl. Der Sieg Imamoglus im Jahr 2019 in Istanbul gilt als eine herbe Niederlage der AK-Partei Erdogans, die die Großstadt bis dahin regierte. Er gewann auch 2024.
Politisch wird die Kontrolle über Istanbul oft als Symbol für den allgemeinen politischen Einfluss im Land gesehen. In Istanbul hatte einst auch Erdogans Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 dort zum Bürgermeister gewählt wurde.
Hintergrund der Terrorermittlungen gegen Imamoglu ist laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu eine Kooperation zwischen der CHP und der prokurdischen Dem-Partei bei den Kommunalwahlen. Über diese Kooperation habe die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK versucht, ihren Einfluss auszuweiten, zitierte Anadolu am Mittwoch die Generalstaatsanwaltschaft.
Imamoglus Festnahme hat trotz Demonstrationsverboten für großen Protest im Land gesorgt, der bereits mehrere Tage andauert. Zahlreiche drückten ihren Protest an der Wahlurne aus. Der Sender Halk TV zeigte am Sonntagmorgen Bilder von Schlangen vor Wahllokalen in Städten wie Istanbul, Ankara, Izmir, Kahramanmaras und Adiyaman.
Millionen Menschen gaben zudem ihre Stimme symbolisch an sogenannten Solidaritätswahlboxen für Imamoglu ab, die neben den regulären Urnen im ganzen Land aufgestellt worden waren. Nach Auszählung von etwas mehr als der Hälfte der Solidaritäts-Urnen käme man bereits auf mehr als 13 Millionen symbolischen Stimmen für Imamoglu.
Offizieller Kandidat ist Imamoglu erst, wenn die als regierungsfreundlich geltende türkische Wahlbehörde YSK seine Kandidatur bestätigt. Sollten die Ermittlungen bis dahin nicht aufgegeben worden sein, ist die Annahme seiner Kandidatur unwahrscheinlich. Zudem wurde Imamoglu in dieser Woche der Universitätsabschluss aberkannt. Ein Abschluss ist Voraussetzung für eine Kandidatur.