Eine Koalition sucht sich selbst

von Redaktion

Nächste Runde: Friedrich Merz (re.) läutet neben CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor der Unions-Fraktionssitzung im Bundestag. © Michael Kappeler/dpa

München/Berlin – Er hat noch keine Koalition, aber Friedrich Merz weiß bereits: Es wird keine Große sein. Als „Große Koalition“ könne man das Bündnis „bei diesen knappen Mehrheiten im Parlament ja eigentlich nicht mehr“ bezeichnen, orakelte der CDU-Vorsitzende in der „Bild“. Die einst großen Volksparteien CDU, CSU und SPD repräsentieren im Bundestag nur noch 45 Prozent der Zweitstimmen, kommen damit auf eine Mehrheit der Mandate. Merz sagt, man suche einen neuen Namen. „Vielleicht schwarz-rote Arbeitskoalition oder Koalition von Aufbruch und Erneuerung.“

Im Internet und bei der Opposition kursieren längst spöttischere Begriffe. „KleiKo“ für „kleine Koalition“, „KoKo“ für die „Kompromisskoalition“, „SchuKo“ für die Schuldenkoalition oder, angesichts der Riesenkredite, „BlanKo“. Weitere Spottnamen werden dazukommen, denn die Grünen starten einen öffentlichen Aufruf, im Internet die drolligsten Namen zu verbreiten. Irgendeiner wird sich vermutlich in der Umgangssprache durchsetzen, die rot-grün-gelbe Vorgängerregierung wollte eigentlich auch nicht „Ampel“ genannt werden. Daneben hat die Deutsche Presseagentur dpa, die wichtigste Nachrichtenagentur des Landes, ganz ernsthaft kundgetan, künftig nicht von „Großer Koalition“ zu sprechen, da damit ein Bündnis der größten Fraktionen, also Union und AfD, gemeint wäre.

Die Koalition ohne Namen ist, und das ist die größere Sorge, aktuell auch noch eine Koalition ohne Inhalte. Gestern um 17 Uhr lieferten die 16 Arbeitsgruppen ihre Vorschläge ab, wie der Koalitionsvertrag aussehen soll. Wie befürchtet, blieben etliche Streitfragen ungelöst, vor allem bei Steuern, Sozialpolitik und Eindämmung der irregulären Migration. Bis in Details gibt es Ärger: Die SPD will eine Zuckersteuer und einen Ausbau des Selbstbestimmungsrechts bei der Geschlechtsidentität, die Union will den Darlehenszuschuss beim Bafög senken und die Entwicklungshilfe spürbar kürzen, berichtet das Portal „Table-media“. In dieser Woche soll die 19-köpfige Steuerungsgruppe, die den knapp 260 Unterhändlern vorgesetzt ist, Kompromisse suchen. Beide Seiten geloben: lieber gründlich als schnell. Notfalls wird der Zeitplan gekippt, alles vor Ostern auszuverhandeln und abzustimmen.

„Wenn der Koalitionsvertrag nicht stimmt, ärgern wir uns zwei, drei Jahre“, sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, einer der Merz-Vertrauten. Er kündigt eine harte Linie an, wohl auch, um die murrende Parteibasis zu beruhigen. „Es werden noch schwierige Gespräche.“ Der Koalitionsvertrag werde nur unterschrieben, wenn es kein Weiter-so gebe, sondern einen echten Politikwechsel. Für CDU und CSU bedeutet das vor allem: eine Wende bei der Migration. Hier ist weiterhin umstritten, ob und wer an der Grenze abgewiesen wird und ob das mit Nachbarländern besprochen oder ihnen nur mitgeteilt wird. Außerdem will die Union für Flüchtlinge aus der Ukraine kein Bürgergeld, sondern nur noch Asyl-Leistungen zahlen. Diese Arbeitsgruppe legte noch Überstunden bis Sonntagabend ein – vergeblich.

Linnemanns Chef spricht am Montagabend dennoch von wachsendem Vertrauen. Aus einigen der Arbeitsgruppen gebe es ausdrücklich sehr gute Ergebnisse, sagt Merz Teilnehmern zufolge in einer Sitzung der neuen Unionsfraktion. Man lasse sich nicht unter Zeitdruck setzen. Merz betont: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das gut gelingt.“

Auch die SPD gibt sich nach außen hin gelassen. Aus der Erfahrung von zwei Koalitionsverhandlungen in den vergangenen Jahren könne er sagen, dass es „völlig normal“ sei, dass es auch mal „knirscht“, sagt SPD-Co-Chef Lars Klingbeil am Montagabend. Damit die vereinbarten Gelder schnell und unbürokratisch in eine Modernisierung des Landes fließen können, sei es wichtig, „dass alles geklärt ist“, betont Klingbeil. Welche Probleme entstehen können, wenn das nicht der Fall ist, kann Klingbeil ebenfalls aus eigener Erfahrung berichten. Der Ampel-Regierung sei nämlich genau das auf die Füße gefallen: „Schöne Sätze“ habe man gemeinsam in den Koalitionsvertrag geschrieben – sie dann aber „unterschiedlich interpretiert“.

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