Bevor der 21. Deutsche Bundestag gestern erstmals zusammentrat, mussten die Handwerker ran: Ab sofort umfasst das Parlament nur noch 630 Abgeordnetensitze statt wie zuvor 736. Den Rest der Bauarbeiten erledigten die Parlamentarier eigenhändig: CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke zogen mit ihrer Mehrheit gleich in ihrer ersten Sitzung die neue Brandmauer zur AfD hoch. Gemeinsam verhinderten sie einen Bundestagsvizepräsidentenposten für die „Alternative“. Deren auf 152 Parlamentarier angeschwollene Fraktion sitzt rechts von der Mauer – und wird in deren Schatten, das lassen schon die ersten Nachwahl-Umfragen befürchten, mit jeder Woche noch mächtiger.
Die deutsche Demokratie steht vor einem Dilemma: Die sich ungeniert radikal gebärdenden Rechten legen es auf ihre Ausgrenzung an, doch ist genau die Nichtbeteiligung von 21 Prozent der Wähler das Elixier, das die AfD stärker macht. Die immer kleiner werdende Mitte beteuert, dass sie um ihre Verantwortung wisse, sendet aber mit den Koalitionsverhandlungen ein anderes Signal an die Wähler. Egal ob Asyl, Bürgergeld oder Steuern – Wahlsieger Friedrich Merz erlebt gerade, wie sein Versprechen eines Politikwechsels von Partei-Apparatschiks klein gehäckselt wird.
Jedenfalls war dies der Eindruck nach den Verhandlungen in den Arbeitsgruppen. Trotz des vorangegangenen Erfolgs bei der Abschaffung der Schuldenbremse arbeiteten sich die Verhandlungsführer des Wahlverlierers SPD hingebungsvoll vor allem am heiligsten aller Merz-Schwüre ab, illegale Migranten vom ersten Tag an bereits an der Grenze abzuweisen. Die Sozialdemokraten sind sich ihrer starken Position als einziger verbliebener Unions-Partner bewusst. Doch erwarten die Wähler, auch die der SPD, dass die neue Regierung die Probleme löst. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die Führungsstärke der Parteichefs. Sie müssen die größten Brocken im Rahmen eines Gesamtpakets jetzt beiseite schieben.
Wenn dies aber nicht gelingt? Dann muss die Union es mit einer Minderheitsregierung versuchen. Es wäre ein Risiko. Doch nichts wäre riskanter, als den Aufstieg der AfD mit faulen Koalitionsabsprachen und gebrochenen Versprechen noch weiter zu befeuern.
GEORG.ANASTASIADIS@OVB.NET