Wut in Beit Lahia, Nordgaza: Hunderte Palästinenser demonstrieren gegen die Terrorherrschaft der Hamas. Proteste wie diese sind im Gazastreifen äußerst selten. © AFP
Gaza/Tel Aviv – Hunderte Palästinenser haben im Gazastreifen für ein Ende des Kriegs mit Israel demonstriert. In spontanen Märschen forderten in Beit Lahia im Norden des Küstenstreifens einige Demonstranten nach Angaben von Augenzeugen auch ein Ende der Hamas-Herrschaft in dem weitgehend zerstörten Küstenstreifen. Viele – vor allem junge – Menschen forderten in Sprechchören, den seit eineinhalb Jahren tobenden Krieg zu beenden. „Hamas raus!“, riefen Demonstranten.
Auch im nahe gelegenen Dschabalija sowie in Chan Junis im Süden des abgeriegelten Küstengebiets kam es zu ähnlichen Protesten. Solche Demonstrationen gelten als selten im Gazastreifen. Die Hamas ist dafür bekannt, hart gegen interne Gegner vorzugehen. In Sozialen Medien gab es dennoch Aufrufe zu einer Fortsetzung der Proteste.
Der Arabischlehrer Mohammed al-Kilani, ein Teilnehmer der Proteste, schilderte seine tiefe Frustration über die schlimme Lage im Gazastreifen. „Wir sind keine Zahlen in den Nachrichten“, sagt der Vater von zwei Kindern aus Beit Lahia. „Wir sind Menschen mit Familien und Träumen.“ Er sei müde vom Krieg, der ihnen das Leben zerstöre. „Jeden Tag, wenn ich mein Haus verlasse, bin ich nicht sicher, ob ich meine Kinder wiedersehe oder ob ich morgen überhaupt noch leben werde.“ Die Einwohner des Gazastreifens seien „Geiseln von Menschen, denen wir egal sind“, sagt er. Dies gelte auch für die Hamas.
Der 50-jährige Abu Chaled Abu Rajasch sagte, er habe alles verloren, sein Laden sei im Krieg zerstört worden. „Ich habe keinen Lebensunterhalt mehr, mein Haus ist zerstört, meine Kinder sind Flüchtlinge geworden“, sagte er. „Die Hamas sagt uns, wir sollen geduldig sein, aber sie leben in Sicherheit. Ihre Kinder werden nicht bombardiert.“
Mahmud Al-Hawadschri verlor wegen des Kriegs seine Arbeit im Baubereich. „Als wir aufgewachsen sind, haben sie uns von einer besseren Zukunft erzählt, die aber nie gekommen ist. Unsere Kindheit ist vorbei, unsere Jugend verschwendet, und wir träumen immer noch von einem normalen Leben.“ Auch er ist wütend über die Führung im Gazastreifen. „Wir sollten nicht immer wieder den Preis für Anführer bezahlen müssen, die sich nur um ihre eigene Macht scheren.“
Israel hatte vor einer Woche seine massiven Luftangriffe auf Hamas-Ziele im Gazastreifen wieder aufgenommen, wo seit dem 19. Januar eine zwischen beiden Seiten vereinbarte Waffenruhe galt. Die israelische Armee startete zudem einen neuen Bodeneinsatz in dem Palästinensergebiet. Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will mit der Offensive nach eigenen Angaben den Druck auf die Hamas erhöhen, die noch immer in dem Palästinensergebiet festgehaltenen israelischen Geiseln freizulassen.
Den Gesundheitsbehörden im Gazastreifen zufolge wurden bei israelischen Angriffen inzwischen mehr als 50 100 Menschen getötet. Bei einem Drittel davon handelt es sich demnach um Kinder und Jugendliche. Die Behörden unterstehen der Hamas, die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Internationale Organisationen wie die UN betrachten sie jedoch als weitgehend glaubwürdig.
Auch in Jerusalem kam es erneut zu Protesten gegen die Politik der rechtsreligiösen israelischen Regierung. Vor dem Parlament demonstrierten hunderte Menschen, während der neue Haushalt verabschiedet wurde. Nach Medienberichten kam es erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei sowie mehreren Festnahmen. Seit dem Neubeginn des Gaza-Kriegs hatten sich auch die Proteste in Israel gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu verschärft.