Bamf-Chef will Asylrecht kippen

von Redaktion

Wer die EU per Boot erreicht, hat Anspruch auf Asylprüfung. Bamf-Chef Sommer will das ändern: Schutzsuchende sollen künftig nur noch eingeflogen werden. © dpa

München – Es ist keine spontane Brandrede, keine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz. Hans-Eckhard Sommers Auftritt ist kalkuliert. Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weiß, wie viel Sprengkraft in seinen Worten steckt, als er am Montagnachmittag einen Vortrag bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung hält. Solche Events finden eigentlich eher bei Politiknerds Beachtung, doch dieses Mal ist es anders: Denn der Top-Beamte fordert nicht nur eine Abschaffung des individuellen Asylrechts – er tut es auch noch inmitten der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD, in denen Migration Thema Nummer 1 ist.

„Verantwortliche Politik spürt, wann der Kipppunkt erreicht ist“, sagt Sommer mit ernster Miene. „Er ist erreicht.“ Die EU brauche ein „gänzlich neues Schutzsystem“ und solle eine Zahl von Menschen festlegen, die sie noch jährlich aufnehmen will. Schutzsuchende sollten künftig nur noch eingeflogen werden. Wer dennoch unerlaubt nach Deutschland einreist, hätte dann keine Aussicht mehr auf ein Bleiberecht. „Wir würden damit das Geschäft der Schlepper weitgehend austrocknen“, ist Sommer überzeugt.

Als eine Teilnehmerin fragt, wie sich dieser Vorschlag umsetzen ließe, antwortet er: „Politik kann vieles, wenn sie nur will.“ Man müsse sich „aus alten Denkschemata befreien“: Sowohl das Grundgesetz als auch internationale Verträge wie die Genfer Flüchtlingskonvention könnten geändert werden. Ihm sei die Drastik des Vorschlags sehr wohl bewusst – doch er halte ihn für „äußerst human“.

Sommers Timing ist auch insofern bemerkenswert, als dass seine Chefin, Nancy Faeser, genau einen Tag später stolz die Migrationsbilanz der Ampel präsentieren will: Die SPD-geführte Regierung habe es geschafft, „die irreguläre Migration wirksam zu bekämpfen“, sagt die Innenministerin, als sie am Dienstag ihre Zahlen präsentiert. Doch da macht der Rundumschlag ihres Bamf-Chefs schon längst die Runde.

Faeser bemüht sich, die Erfolge ihres Ministeriums aufzuzählen: „Es gab im März so wenig Asylgesuche wie zuletzt Anfang 2021, also mitten in der Corona-Pandemie.“ Sie lagen demnach im ersten Quartal dieses Jahres 35 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig sei die Zahl der Abschiebungen kontinuierlich gestiegen: 2021 gab es knapp 12 000 Rückführungen, drei Jahre später 20 000. Faeser führt das auf strenge Grenzkontrollen und ein härteres Vorgehen gegen Schleuser zurück: Seit Oktober 2023 habe die Bundespolizei 50 000 Mal Menschen zurückgewiesen.

Als Faeser auf Sommers Forderungen angesprochen wird, sagt sie: „Das Asylrecht steht für die SPD nicht zur Disposition.“ Humanitäre Aufnahmeprogramme, wie Sommer sie vorschlägt, seien nicht die Lösung: Schleuser würden nicht einfach aufhören, Menschen nach Europa zu bringen, nur weil es eine Obergrenze für Flüchtlinge gebe. Personelle Konsequenzen kündigt die (Noch-)Innenministerin aber nicht an.

Ihr Parteikollege Ralf Stegner schlägt andere Töne an: „Solche öffentlichen Äußerungen eines Behördenchefs widersprechen seiner Verantwortung, verletzen mutmaßlich die Dienstpflichten und ziehen in der Regel personelle Konsequenzen nach sich“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete dem „Handelsblatt“. Auch Politiker von Grünen und Linken fordern Sommers Rücktritt. Er selbst betont zwar, seinen Vortrag als Privatperson und nicht als Bamf-Chef gehalten zu haben. Grünen-Chef Felix Banaszak hält das aber für vorgeschoben: Sommer habe wohl vermutet, dass das Innenministerium in die Hände der Union fällt und die Rede „im vorauseilenden Gehorsam“ gehalten.

Derweil kommen Sommers Forderungen bei der Union gut an. „Dass ich diesem Vorschlag gegenüber eine gewisse Sympathie habe, das kann man schon daran sehen, dass ich diesen Vorschlag auch schon einmal unterbreitet habe“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU). Sommer ist selbst seit 1995 CSU-Mitglied und war unter anderem Büroleiter von Edmund Stoiber. 2018 wurde er vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zum Bamf-Chef ernannt – eine Personalentscheidung, die Faeser bei ihrem Amtsantritt 2021 beerbte.

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