Bayern gilt als sicherstes Bundesland – noch. Das liege unter anderem an der starken Polizeipräsenz, sagt Rainer Wendt. Das ist auch am Münchner Hauptbahnhof spürbar. © IMAGO
Berlin/München – Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), war 43 Jahre lang Polizist in seiner Heimatstadt Duisburg. Seit 2007 hat Wendt den Vorsitz bei der DPolG inne. Im Interview über die neue Kriminalstatistik erklärt er, warum er den Staat hinsichtlich der steigenden Gewaltkriminalität in der Verantwortung sieht.
Mehr Gewalt, mehr Waffen, mehr Gruppentaten: Erleben Sie in der Polizei-Praxis eine große Verrohung?
Ja, das erleben unsere Kolleginnen und Kollegen jeden Tag. Denn wir haben leider auch im Bereich der Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei drastische Steigerungsraten. Das ist eine große Last, weil der Staat sehenden Auges seine Autorität aufgibt oder sie verliert.
Woran liegt das?
Wir haben den Staat irgendwann mal schwach gemacht. Mehr als 70 Prozent der Menschen in Deutschland trauen dem Staat nicht mehr zu, seine wesentlichen Kernaufgaben zu bewältigen, wie Bildung, Sicherheit und die Bereitstellung einer funktionierenden Infrastruktur. Nun haben wir wieder Krieg in Europa. Wir haben zerfallende Staaten, und wir haben eine zunehmende Gewaltbereitschaft in vielen Teilen der Bevölkerung. Es liegt auf der Hand, dass Kriminelle das ausnutzen. Gewaltbereitschaft, mangelnde Akzeptanz staatlicher Anordnungen: Das geht bei den Schulen los und setzt sich bei der Polizei fort.
Kinder und Jugendliche werden immer krimineller, auch in und um München. Lässt sich diese Entwicklung stoppen?
Der Staat hat die Aufgabe, das zu stoppen. Er muss Familien stärken, aber auch die Schulen in ihrer Autorität. Wir brauchen aber natürlich auch psychologische Hinwendung zu jungen Leuten, die neben der Spur laufen. Außerdem muss der Staat auch Kinder mit den Themen Strafmündigkeitsalter, mit der Staatsanwaltschaft und den Gerichten vertraut machen. Sie sind in der Lage, mit großer Autorität und großem Nachdruck darauf hinzuweisen, wie man sich vernünftig verhält.
Was würde gegen Messer-Taten helfen? Zum Beispiel Verbotszonen?
Niemand, der Verbotszonen einrichtet, hat die Illusion, dass Menschen, die bereit sind, mit einem Messer andere zu verletzen oder zu töten, sich von der Drohung eines Bußgeldes abhalten lassen. Aber sie sind trotzdem richtig, weil man der Polizei die Möglichkeit gibt, verdachtsunabhängig zu kontrollieren, und auch einen Verbotsraum schafft. Man muss den jungen Leuten beibringen, dass es nicht in Ordnung ist, ein Messer mit sich zu führen. Das schafft man mit scharfen Sanktionen und mit der Möglichkeit, dass beispielsweise ein Lehrer oder eine Lehrerin in eine Schultasche reingucken darf. Das muss aber der Gesetzgeber regeln. Eine messerfreie Schule ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber in der Praxis leider nicht.
Ärgert sich die Polizei im Alltag manchmal über eine erst Monate später sanft urteilende Justiz?
Ja, manche Urteile halten wir für zu sanft. Sie dienen zwar der Rechtspflege, aber entfalten nicht die notwendige präventive Wirkung. Es ist schon falsch, wenn das Urteil erst viele Monate später erfolgt. Das ist aber eine Frage der Ausstattung von Justiz. Die Strafe muss auf dem Fuße folgen, und sie muss spürbar sein.
Bayern bleibt Spitzenreiter als sicherstes Bundesland. Woran liegt das?
Das liegt unter anderem an Bayerns hoher Polizeidichte. Auch die Polizeikonzepte sind entsprechend aufgestellt: Deeskalation durch Stärke. Außerdem stellt sich auch die Politik in beispielhafter Weise immer wieder schützend vor ihre Beamtinnen und Beamten. Das wünschen wir uns auch in allen anderen Bundesländern.