Berlin – Im März 2014 verkündete das Bundesverfassungsgericht ein für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wegweisendes Urteil. Es befasste sich mit den Gremien in ARD und ZDF und stellte fest: Die Zusammensetzung habe sich gemäß Grundgesetz „am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten“. Und: „Der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.“ Nun kommt eine Studie zu dem Ergebnis: Kaum eine öffentlich-rechtliche Anstalt hält sich an diese Vorgabe des höchsten deutschen Gerichts.
Eine Auswertung der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung hat alle 772 Mitglieder der ÖRR-Anstalten (ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle) auf Parteinähe untersucht. Ergebnis: 41 Prozent der Rundfunkratsmitglieder seien „eindeutig politischen Parteien zuzuordnen“. Zur Erinnerung: Erlaubt wären nur 33 Prozent. Und eigentlich sind es laut offiziellen Angaben auch nur 24 Prozent. Doch in allen Rundfunkanstalten sind es laut Studie tatsächlich mehr, teils sogar mehr als doppelt so viele. Die Stiftung spricht daher von einem „deutlich höheren Politikeinfluss“ in den Gremien.
Am höchsten ist der politische Einfluss demnach im ZDF. Dort sind es statt den bisher geglaubten 32 Prozent nach neuen Berechnungen 62 Prozent. Anders formuliert: 36 der 60 Mitglieder im Fernsehrat haben einen politischen Hintergrund. Offensichtlich ist das Parteibuch bei den von Bundes- und Landesregierung versandten Vertretern, darunter Bayerns CSU-Justizminister Georg Eisenreich, Nordrhein-Westfalens CDU-Medienminister Nathanael Liminski oder (Noch-)Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen. Die Otto-Brenner-Stiftung identifiziert als parteinah, wer für ein Mandat kandidiere, Abgeordneter war „oder ein anderes, öffentlich nachweisbares Engagement für eine Partei“ hatte. In unsicheren Fällen habe man lieber nicht zugeordnet.
Unsere Zeitung hat diese Kriterien auf die aktuellen Mitglieder des Rundfunkrats angewandt – und konnte so klare politische Verflechtungen mehrerer Personen erkennen. So finden sich drei ehemalige SPD-Landtagspolitikerinnen aus Baden-Württemberg, Bayern und dem Saarland, die eigentlich für die Zivilgesellschaft im Fernsehrat sitzen. Konkret: Cornelia Tausch für die Verbraucherzentrale, Kathrin Sonnenholzner als Vertreterin der Deutschen Arbeiterwohlfahrt und Barbara Wackernagel-Jacobs für den Bereich Kunst und Kultur. Und, recht offensichtlich: Andreas Jung, seit 2006 für die SPD Oberbürgermeister in Leipzig und offiziell Vertreter des Deutschen Städtetags.
Aber auch andere Parteien sind vertreten. So ist Steffen Hörtler für den Bund der Vertriebenen im ZDF-Fernsehrat und gleichzeitig CSU-Kommunalpolitiker in Bad Kissingen. Oder, noch prominenter: Gerda Hasselfeldt. Sie war CSU-Bundesministerin und Landesgruppenchefin, Jetzt sitzt sie fürs Rote Kreuz im ZDF-Fernsehrat. Auch von CDU und Grünen gibt es viele solcher Fälle.
In anderen Rundfunkanstalten sieht es ähnlich aus. Mehr als 50 Prozent beträgt der politische Einfluss in Rundfunkräten laut Stiftung auch im Deutschlandradio (56 Prozent), im BR (52) und im SWR (51). Bei den Verwaltungsräten sieht es noch drastischer aus: Hier sind laut Stiftung „53 Prozent der Mitglieder mit Parteibuch versehen, üben ein politisches Amt aus oder haben schon mal für eine Partei versucht, ein solches zu erlangen“. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk widerspricht der These: Eine Parteizugehörigkeit sage per se nichts über die Qualifikation aus. Die Erhebung übersehe einen entscheidenden Punkt: „Wer sich beispielsweise für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder das Wohlergehen der Ernährungswirtschaft einsetzt und dafür auch Freizeit opfert, ist wahrscheinlich eher geneigt, sich in der repräsentativen Demokratie auch in einer Partei zu organisieren und umgekehrt“, argumentiert die ARD. „Dass es auch Parteimitgliedschaften aus Karrierekalkül gibt, soll damit nicht geleugnet werden.“
ANDREAS SCHMID