München – Karl-Theodor zu Guttenberg war überzeugt: Auch wenn es ihm „persönlich schwergefallen“ sei, könne er die Wehrpflicht in der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Lage nicht mehr vertreten, argumentierte der damalige Verteidigungsminister von der CSU im Jahr 2011. Fünf weitere Verteidigungsminister und 14 Jahre später ist nicht nur sicherheitspolitisch manches anders gekommen, als Guttenberg damals wohl gedacht hat – und die Wehrpflicht wieder ein großes Thema. Putins Angriffskrieg, Trumps Vertrauensbruch – Deutschland und Europa stehen unter Druck, militärisch auf eigene Beine zu kommen. Also wieder junge Männer einziehen? Auch Frauen? In Union und SPD, die derzeit über einen Koalitionsvertrag verhandeln, gehen die Auffassungen auseinander. Der Ausgang ist offen.
Was wird benötigt?
„Nur mit einer deutlichen Verbesserung unserer Personallage kann die Bundeswehr in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag zu erfüllen“, sagt CSU-Verteidigungspolitiker Florian Hahn unserer Zeitung. Um Deutschland in der Fläche zu verteidigen, hält der deutsche Reservistenverband 300 000 bis 350 000 Soldaten für nötig – und rund eine Million Reservisten. Aktuell besteht die Bundeswehr aus gut 180 000 aktiven Soldatinnen und Soldaten und rund 60 000 Reservisten. Weitere 100 000 Personen könnten aus der allgemeinen Reserve aktiviert werden.
Welche Modelle gibt es?
Da die damalige schwarz-gelbe Koalition die Wehrpflicht 2011 nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt hat, kann der Bundestag sie mit einfacher Mehrheit reaktivieren. Männer im Alter von 18 bis 45 – im Spannungs- und Verteidigungsfall bis zum 60. Lebensjahr – könnten dann eingezogen werden. Frauen müssten im Verteidigungsfall bei Bedarf Sanitätsdienst leisten. Theoretisch ließe sich so also vergleichsweise schnell wieder Personal aufbauen. Nur fehlt es dafür an den Rahmenbedingungen. Es gibt im Moment zu wenige Ausbilder, Kasernen und Übungsplätze. Zudem gibt es seit 2011 überhaupt keine Wehrerfassung mehr, wen man im Ernstfall überhaupt einziehen könnte. Auch Wehrpflicht-Befürworter Hahn ist der Ansicht, „dass wir das nur schrittweise hinbekommen“. Er sagt: „Ein kompletter Jahrgang zunächst junger Männer wird nicht benötigt, aber wir müssen die Möglichkeit zum verpflichtenden Dienst jetzt schaffen.“ Es gehe dabei auch um ein „Signal an die eigene Bevölkerung und unsere Partner wie Gegner“, findet der CSU-Politiker. „Wir brauchen als Erstes ein klares Bekenntnis, dass wir Abschreckung ernst meinen“, sagt Hahn. „Das geht einher mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verfolgte in der vergangenen Legislatur einen anderen Ansatz. Er wollte junge Männer bei Erreichen des wehrfähigen Alters verpflichten, einen Fragebogen auszufüllen, ob sie zum Dienst bei der Bundeswehr bereit wären. Jährlich 10 000 bis 15 000 Freiwillige wären dann zur Musterung eingeladen worden, um zunächst 5000 von ihnen für die Bundeswehr auszuwählen – so der Plan, der allerdings aufgrund des vorzeitigen Ampel-Endes nicht zur Umsetzung kam.
Ein weiterer Vorschlag kommt aus Bayern. Die Landtags-Grünen schlagen einen verpflichtenden „Freiheitsdienst“ für alle vor. Irgendwann im Alter zwischen 18 und 67 soll jeder und jede sechs Monate Dienst tun – neben dem Wehrdienst kann das auch ein Dienst im Bevölkerungsschutz, bei der Feuerwehr oder bei Hilfsorganisationen sein. Auch sechs Monate Gesellschaftsdienst (vergleichbar mit dem Freiwilligen Sozialen Jahr) wären möglich.
Müssen auch Frauen ran?
Das ist letztlich eine politische Frage. Um die konventionelle Wehrpflicht auf Frauen auszuweiten, wäre eine Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit nötig. Beim Pistorius-Modell – das ja auch für Männer keine Pflicht vorsieht – stünde die Bundeswehr auf freiwilliger Basis grundsätzlich auch Frauen offen. Das Modell der Grünen macht keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen.
Was sagen Kritiker?
Die SPD-Parteijugend sieht in einer Rückkehr zur Wehrpflicht einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit junger Menschen. Die Bundeswehr brauche nicht mehr Wehrdienstleistende, sondern eine bessere Ausrüstung und allgemein bessere Arbeitsbedingungen, argumentieren die Jusos. Ähnliche Vorbehalte gibt es auch in der FDP und der Linkspartei.