FW-Chef Aiwanger blickt skeptisch nach Berlin. © dpa
München – Es ist einer dieser Tage, an denen die CSU schmerzvoll vor Augen geführt bekommt, dass sie im Freistaat nicht mehr alleine regiert. Denn Kritik am Koalitionsvertrag, auf dessen Grundlage sie mit CDU und SPD in Berlin regieren will, kommt prompt aus der eigenen Staatsregierung. „Ein Befreiungsschlag für die Wirtschaft ist das nicht“, sagt der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) unserer Zeitung. Die geplanten Umsatzsteuersenkungen von einem Prozent jährlich sind „nicht mutig genug“, findet er. Auch die Abschaffung des nationalen Lieferkettengesetzes ist für Aiwanger kein großer Wurf. „Der Wirtschaft nur zu sagen, ich schlag‘ dich jetzt doch nicht k.o., reicht nicht.“ Und beim Thema Migration seien die Ausführungen in dem Papier nicht konkret genug, um sie detailliert zu bewerten. Eines aber sei klar: „Vom Wahlversprechen Grenzschließungen ist das alles noch weit entfernt“, kritisiert der stellvertretende Ministerpräsident.
Das Urteil aus der Opposition in Berlin fällt noch eine Spur schärfer aus. Für die künftig größte Oppositionspartei AfD ist zu viel „Handschrift des Wahlverlierers SPD“ wiederzufinden. AfD-Chefin Alice Weidel nennt den Vertrag eine „Kapitulationsurkunde von Friedrich Merz“. Sie kritisiert die Steuerreform, den Migrationskurs und den weiter bestehenden Atomausstieg.
Auch die Grünen zeigen sich enttäuscht von den ausgehandelten Kompromissen. „Diese kleine Koalition macht da weiter, wo die letzte große Koalition 2021 aufgehört hat“, urteilt Parteichef Felix Banaszak. Die Welt werde konfrontiert mit dem Kollaps der Ökosysteme, der Erosion regelbasierter Ordnung und dem Erstarken von Rechtsextremismus – auf keine dieser Herausforderungen gebe es „einen Hauch einer Antwort“.
Auch was die europäische Führungsrolle betrifft, herrscht bei den Grünen Ernüchterung. „Dieser Koalitionsvertrag ist für Europa Valium“, sagt Parteichefin Franziska Brantner. Die Partei kritisiert, dass der europäische Green Deal aufgeweicht, der Kohleausstieg verzögert werde. Zudem hält Brantner die Koalitionsvorhaben für finanziell nicht tragbar. „Diese Koalition hat Geld wie Heu, aber Ideen wie Stroh.“ Das würden die vielen geplanten Expertenkommissionen zeigen.
Die außerparlamentarische Opposition zeigt sich wenig überrascht. „Es ist weitgehend das, was im Sondierungspapier stand, nur verlängert auf 144 Seiten“, erklärt der FDP-Politiker Christian Dürr. Echte Reformen für die Wirtschaft würden ausbleiben und „Deutschland wird zukünftig von Mutlosigkeit regiert“. Und auch BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht prophezeit gleich eine „Merzession“ – also eine weitere Rezession unter dem neuen Kanzler.
HOR, HUD