Die spontanen Römer aus Bayern

von Redaktion

Extra aus München angereist: Nele, Christina und Benjamin (v.l.). © Schramm (2)

Christina Karmann kniet in der Menschenmasse.

Die Trauernden aus aller Welt brauchten viel Geduld und Ausdauer. Unser Bild zeigt Menschen, die die Nacht auf dem Petersplatz verbrachten. © Medichini/dpa

Rom – Christina Karmann geht auf die Knie. Mitten in der Masse im Herzen Roms. Menschen drängen sich über die berühmte Prachtstraße Via della Conciliazione, die die Engelsburg mit dem Petersplatz verbindet. Karmanns Augen sind geschlossen. Sie betet ohne Worte, genießt die Hostie auf der Zunge. Sie vergisst die abertausenden Menschen im Vatikan, die an diesem Samstag Abschied von Papst Franziskus nehmen.

Erst 17 Stunden ist es her, dass die 20-jährige Karlsfelderin mit 21 anderen jungen Menschen aus München nach Rom aufgebrochen ist. Zwei Sprinter, ein Auto, 1876 Kilometer: München–Rom und zurück. In nur 48 Stunden. Highspeed-Pilgern. Nur ein Drittel der Zeit bleibt in der Heiligen Stadt, der Rest ist Fahrerei. Wurscht. Andere Jugendliche fliegen für eine Partynacht an den Ballermann. Für diese jungen Leute zwischen elf und 27 ist die Papst-Beerdigung das Event des Jahres.

Im Eiltempo haben Andreas Sang und Hanna Blaschke von der Katholischen Jugendstelle im Dekanat München Nord-West-Mitte die Aktion organisiert. Am Dienstag, einen Tag nach dem Tod des Papstes, gründeten sie die WhatsApp-Gruppe „Spontane Römer:innen“. Nur drei Tage später fuhr ihre Kolonne schon über den Brenner. Samstagfrüh, 4.40 Uhr, steht die zusammengewürfelte Truppe aus Ministranten, Pfadfindern, Kindern und Theologiestudenten vor den Toren Roms. Zähneputzen an der Tanke. Endspurt. Im Bus riecht es nach Würsteln, Cola und der Katzenwäsche.

Als die Gruppe im Vatikan eintrifft, drängen schon aus allen Richtungen Menschen Richtung Petersplatz. Die Gruppe ergattert einen Platz an der Absperrung auf halbem Weg. Um 10.30 Uhr beginnt der Gottesdienst. In der Ferne erkennt man das leuchtende Rot der Kardinalsgewänder. Gegenüber steht eine Leinwand. Ringsum wischen sich Menschen immer wieder Tränen von den Wangen. Als Franziskus‘ Sarg vor dem Dom steht, applaudiert die Menge. Die jungen Bayern bekommen ihn nicht zu sehen – es sind einfach zu viele Menschen.

Von den „spontanen Römern“ aus Bayern muss an diesem Samstag keiner weinen, auf der Fahrt wird diskutiert, gesungen und gelacht. „Wir müssen nicht traurig sein“, sagt Nele Zdera (21) aus Bogenhausen, als sie an der Absperrung den Gottesdienst verfolgt. „Ich bin hier, um mich von Papst Franziskus zu verabschieden, aber auch um dieses Gemeinschaftsgefühl zu spüren. Von dem heutigen Tag werde ich bestimmt noch meinen Kindern und Enkeln erzählen.“ So geht es auch Benjamin Grätke (19) aus Bad Reichenhall und Julia von Opolski (18) aus Baierbrunn. Die Pfadfinder sind seit zwei Monaten ein Paar. Wieso sollte ihre erste gemeinsame Reise nicht zum Papst führen? „Wir verabschieden ihn, weil er weltoffen war und sich für eine moderne Kirche und den Frieden eingesetzt hat.“

Immer wenn der Chor verstummt, ist es auf dem Platz mucksmäuschenstill. Dann hört man nur das Flügelschlagen der Tauben. Ein Raunen geht durch die Menge, als sich Priester um Priester im freien Gang zwischen den Absperrungen positionieren, um allen hier die Kommunion zu spenden. Kein Schubsen, kein Drängeln. Deshalb hatte Christina Karmann das Gottvertrauen, sich zum Beten hinzuknien. Später sagt sie: „Das war ein besonderer Moment.“ High nach der Hostie.

Karmann feilt gerade jeden Tag am Dasein als Christin. Nach dem Abitur wusste sie nicht, was sie mit sich und der Freiheit anfangen sollte. Also besucht die Oberministrantin für ein Jahr das ökumenische Gebetshaus in Augsburg. Ihr Ziel: Lernen, nicht an der Zukunft verzweifeln. Das meint den künftigen Berufsweg genauso wie die Krisen dieser Welt. Andere Jugendliche kriegen den Kopf beim Sport oder beim Zocken am PC frei. Karmann im Gebet, aktuell vier Stunden am Tag. Und beim Pilgern nach Rom.

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