Politik kann ein blutiges Geschäft sein, Erneuerung muss manchmal erzwungen werden. Profis pflegen dabei einen Leitsatz: „Stützen oder stürzen“. Also: Ganz für oder ganz gegen einen Kandidaten sein, kein Eiern. Beim Stolperstart von Friedrich Merz haben 18 Koalitionäre das missachtet. Wahrscheinlich sind die Abweichler im ersten Wahlgang selbst erschrocken, welche Wucht ihre Nein-Stimmen entwickeln. Viel spricht für Einzelfrust Nichtbeförderter, schwarz wie rot, keine koordinierte Intrige. Strategisch dumm war‘s trotzdem, und im Schutz der Anonymität feige.
Merz hat weder Zeit noch Mittel zur Verrätersuche. Das wäre auch nicht klug. Vorgängerin Merkel, der schon mal (folgenlos) 51 Stimmen fehlten, ließ das auf sich beruhen. Aber er muss mit einem dreifachen Schaden umgehen. Ab Tag 1 ist er erstens mit hässlichen Schlagzeilen konfrontiert, die Wahltagswirren offenbaren eine mediale Lust am Niedermachen. Die Inbrunst, mit der er nun als Fehlstartkanzler beschrieben wird, erschwert Merz‘ Mission, dem Land Aufbruch zu vermitteln. Zweitens muss er jetzt mit Misstrauen in der Koalition klarkommen. Auch mit Sorgen, ob Jens Spahn die nicht nur aus guten Freunden bestehende Unionsfraktion in den Griff bekommt und wie groß in der SPD die Vorbehalte gegen alle kantig Konservativen sind. Drittens bindet die Eil-Verkürzung der Wahlfristen mit den Stimmen aller Fraktionen der CDU die Debatte ans Bein, ob sie gemeinsame Sache mit radikalen Rändern links wie rechts machen darf. Nüchtern betrachtet: Welch Unfug, aus einem Geschäftsordnungsvotum ein Ende aller Brandmauern abzuleiten. Aber die Frage wird immer dann hochkochen, wenn Mehrheiten knapp oder Zweidrittel-Voten nötig sind.
Ja, das ist heilbar und Merz kein Winsler. Die Aufgabe für ihn ist am Dienstag nicht leichter geworden – aber der Weg noch klarer: Raus aus der schon wieder kolossal aufgeregten Berliner Blase, rein in die Lebensrealität der Menschen! Es ist jetzt noch wichtiger, innerhalb von Wochen schnell Versprechen umzusetzen. Viel davon in der Migrationspolitik (Grenzschutz, Afghanistanflüge, Abschiebehaft, Entwicklungshilfe nur für kooperative Heimatländer), aber auch bei Bürgergeld-Umbau, gemeinnütziger Arbeit und Bürokratie. Dazu das Bild eines Außenpolitikers, der in Europa präsent ist und in der Welt gehört wird. Was ein Fehlstart ist und was nicht, möchten die Menschen im Land gern selbst entscheiden.
CHRISTIAN.DEUTSCHLAENDER@OVB.NET