Berlins Bürgermeister Kai Wegner (l.) mit Kiews Botschafter Oleksij Makeiev. © dpa
Frankreichs Präsident Macron ehrt die Schoa-Überlebende Lili Keller-Rosenberg. © afp
Der britische König Charles III. (M.) und sein Sohn Prinz William bei einem Dankgottesdienst zum Kriegsende in der Westminster Abbey. © J. Pettitt/dpa
Kranzniederlegung an der neuen Wache: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (3.v.l.), Kanzler Friedrich Merz (2.v.l.) und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (l.). © Odd Andersen/afp
München – So andächtig wie jetzt ist es selten in diesem hohen Haus. Die meisten Abgeordneten sind in Schwarz erschienen, vor der Regierungsbank spielt ein Streichquartett, von allen Seiten blickt man auf die drei weißen Blumengestecke in der Mitte des Saals. Auch die Ränge sind gefüllt: Botschafter, Kirchenvertreter, Künstler, alle in Stille versammelt. Was für ein Kontrast zum Kanzler-Wahldrama zwei Tage zuvor. Dabei ist der Anlass nicht weniger gewichtig.
Die Gedenkstunde im Bundestag zu 80 Jahren Kriegsende, in der Vergangenheit bisweilen als blutleeres Ritual kritisiert, hat diesmal besondere Relevanz. „Freiheit ist nicht das große Finale der Geschichte“, sagt Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede. Heute müsse man nicht mehr fragen, ob der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war. Die Frage sei: „Wie können wir frei bleiben?“
Der Bundespräsident ist Hauptredner des Tages, die Aufgabe nicht ganz leicht. Über Monate soll er an seiner Rede gebastelt haben, heißt es aus dem Präsidialamt. Auch, weil der Umgang mit Russland herausfordernd war. Die traurige Wahrheit ist: Die Befreier von damals sind heute eine Gefahr. Deshalb ist der russische Botschafter, in Friedenszeiten zwingend Gast an diesem Tag, diesmal unerwünscht. Und Steinmeier, der einst selbst allzu unkritisch gegenüber dem Putin-Regime war, richtet nun sehr klare Worte an Moskau.
Er würdigt die Rolle der Roten Armee, in der auch Ukrainer, Weißrussen und Soldaten anderer Sowjetstaaten gekämpft hätten. Dann aber stellt er sich den Versuchen des Kreml entgegen, mit dem Sieg von damals die Verbrechen von heute zu rechtfertigen. „Der Krieg gegen die Ukraine ist eben keine Fortsetzung des Kampfes gegen den Faschismus“, sagt er. Nichts habe er gemein mit dem Kampf gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. „Diese Geschichtslüge ist nichts als eine Verbrämung imperialen Wahns, schweren Unrechts und schwerster Verbrechen.“
Es ist ein Zuruf an Moskau, wo heute mit einer gewaltigen Militärparade der Tag des Sieges über die Nazis begangen wird. Kreml-Chef Wladimir Putin schart zu diesem Anlass Verbündete und solche um sich, die trotz der Aggression gegen die Ukraine zu ihm halten. Chinas Staatschef Xi Jinping ist angereist, Brasiliens Präsident Lula da Silva. Besonders aber nutzen ihm die Gäste aus Europa: Serbiens Präsident Alexander Vucic und Robert Fico, Premier des EU-Lands Slowakei. Seht her, wird er einmal mehr behaupten: Die Einheit des Westens bröckelt.
Während in Berlin der russische Botschafter fehlt, sitzt der ukrainische oben auf den Rängen. Steinmeier verknüpft den 8. Mai mit dem Schicksal Kiews. „Ließen wir die Ukraine schutzlos zurück, hieße das, Lehren des 8. Mai zu verraten.“ Indirekt ist damit auch die andere Siegermacht angesprochen, die ihm Sorgen macht. Neben dem russischen Angriffskrieg nennt er auch den „Wertebruch Amerikas“ unter Donald Trump als Teil eines „doppelten Epochenbruchs“. Die Abwendung der USA von der regelbasierten Ordnung sei eine „Erschütterung neuen Ausmaßes“. Trump nennt er nicht direkt.
Ähnlich ist das mit der AfD, zweitstärkste Fraktion des Bundestags, die der Verfassungsschutz eine Woche zuvor als gesichert rechtsextremistisch eingestuft hatte. Immerhin: Ihre Abgeordneten fallen beim Gedenkakt nicht negativ auf. Als Steinmeier einen kleinen, aber deutlichen Seitenhieb platziert, werden die Minen von Weidel, Chrupalla und Co. allerdings lang.
Ihn wundere die Hartnäckigkeit, mit der manche einen „Schlussstrich unter unsere Geschichte und unsere Verantwortung“ ziehen wollen, sagt der Bundespräsident. „Das wäre feige und falsch zugleich.“ Die Erinnerung sei kein „Ballast“, sondern ein „wertvoller Erfahrungsschatz“, der Deutschland verpflichte: zur klaren Haltung gegen Antisemitismus, Nationalismus, oder den russischen Angriffskrieg. Ein „schlafwandlerisches Wanken“ dürfe es in Deutschland nicht geben. „Vertrauen wir doch auf unsere Erfahrung, stehen wir ein für unsere Werte.“
Auch Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) spricht, vor allem über das Leid der Frauen im Weltkrieg, aber auch über die Lehren für heute. „Wer befreit wurde, der ist auch verpflichtet zu verteidigen – die Freiheit. Das ist die Lehre des 8. Mai.“