Niemand in Warschau, Wien, Prag oder Bern kann überrascht sein: Wochenlang hatte die neu gewählte Bundesregierung angekündigt, ab Tag eins die Kontrollen an den Grenzen massiv auszuweiten. Es gab Vorgespräche, teils persönlich, teils telefonisch. Doch jetzt tun alle so, als hätten sie die Äußerungen der Herren Merz, Söder oder Dobrindt nie gehört. Dabei braucht es genau das: Eine klare Ansage, dass sich die deutsche Asylpolitik ändert – und damit die europäische gleich mit.
Schon das Wahlergebnis hatte in der Migrations-Frage eine deutliche Sprache gesprochen. Keineswegs nur wegen der AfD. Deren Situation ist inzwischen nahezu absurd: Laut ARD-Deutschlandtrend halten 67 Prozent der Befragten die AfD für rechtsextrem, gleichzeitig sagen aber 23 Prozent, sie würden die Partei wählen. Es haben einfach zu viele den Glauben an Durchsetzungskraft und -willen der Berliner Politik verloren. Dabei hatte ja schon die Ampel eine Kehrtwende in Sachen Migration eingeleitet: 23000 Zurückweisungen seit Einführung der bundesweiten Grenzkontrollen 2023 sprechen eine deutliche Sprache. In einer Regierung mit Grünen-Beteiligung durfte man das nur nicht so verkaufen. Das ändert nun Alexander Dobrindt. Gut so. Wer die AfD kleinkriegen will, muss sie nicht verbieten, sondern die Probleme anpacken.
Die anderen europäischen Länder, in denen das Thema ebenso emotionalisiert, setzt Berlin so unter Zugzwang. Das Ziel ist ein Dominoeffekt, der irgendwann an den Außengrenzen endet. Die neue Bundesregierung täte deshalb gut daran, den Streit nicht eskalieren zu lassen. Angebracht wäre eine Tour Dobrindts durch die betroffenen Hauptstädte, um eine mögliche Zusammenarbeit zu klären und vor allem den gemeinsamen (!) Schutz der Außengrenzen massiv auszubauen. Jahrelang war das ein bloßes Lippenbekenntnis.
Die innereuropäischen Kontrollen dürften nur eine Übergangslösung sein. Das grenzfreie Reisen war und ist eine der größten Errungenschaften der EU! Weder den Pendlern noch der Überstunden schiebenden Bundespolizei ist der Ausnahmezustand auf Dauer zuzumuten. Europa braucht endlich ein geordnetes System mit dem Schutz der Außengrenzen, Asylanträgen eben dort und klaren Regeln für Arbeitszuwanderung.
MIKE.SCHIER@OVB.NET