München – Theo Waigel hat in seinem politischen Leben einiges erlebt. Ein Kanzler, der im ersten Wahlgang die nötige Mehrheit verfehlt, gehört nicht dazu. Für den 86-jährigen Ehrenvorsitzenden der CSU kam das Merz-Drama im Bundestag allerdings nicht allzu überraschend. Merz hätte anders agieren müssen, sagt Waigel im Interview.
Herr Waigel, wie haben Sie die turbulente Kanzlerwahl von Friedrich Merz erlebt?
Ich war auf einer Veranstaltung und habe gesagt: bitte teilt mir während der Veranstaltung mit, wie es ausgegangen ist. Ich hielt das, was gekommen ist, nicht für unmöglich. Ich habe das mit eingerechnet und war nicht sehr überrascht.
Nicht überrascht? Wieso?
Friedrich Merz hat einen taktischen Fehler begangen. Man muss sich überlegen, ob es klug war, das Kabinett vor der Wahl des Kanzlers vorzustellen. Ich hätte das nicht gemacht.
Wieso nicht?
Ich würde jedem potenziellen Kanzler raten, die Regierungsbildung erst nach der Kanzlerwahl zu vollziehen. Denn wenn man da 30 oder 40 Posten verteilt, dann gibt es mindestens 30, 40 Parlamentarier, die sagen: Ich wäre ja auch geeignet gewesen. Das sorgt für Verärgerung und manche glauben dann, dem Kanzler einen Denkzettel verpassen zu können. Aber das war in der Politik immer schon so. Ich bin mal bei einer ganz wichtigen Kanzlerwahl neben einem bedeutenden CSU-Politiker gesessen und habe gesehen, dass er Helmut Kohl nicht gewählt hat.
Friedrich Merz hatte im ersten Wahlgang keine Mehrheit. Ist seine Kanzlerschaft damit gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat?
Das ist ähnlich wie bei einem Fußballspiel. Da gewinnt man auch, wenn man in der Verlängerung das entscheidende Tor schießt. Politik ist keine Schönheitsgalerie und man kann auch in Schönheit sterben. Entscheidend ist, dass man gewinnt.
Stärkt dieses beispiellose politische Chaos am Ende die AfD?
Das glaube ich nicht. Die AfD hat in den letzten Wochen und Monaten davon profitiert, dass wir keine handlungsfähige Regierung hatten. Deshalb ist es jetzt natürlich entscheidend, was in den ersten Wochen und Monaten der neuen Regierung passiert.
Der Verfassungsschutz hat die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Wie sollte man damit umgehen?
Das muss man sich zuerst mal ansehen und dann kommt es darauf an, wie das Bundesverfassungsgericht das Ganze beurteilt. Das wird ja ganz sicher vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Man muss eine Partei deshalb aber nicht unbedingt verbieten – es gibt auch andere Instrumente.
Welche?
Zum Beispiel den Artikel 18 des Grundgesetzes. Demnach können demjenigen die Grundrechte entzogen werden, der die Grundrechte anderer gefährdet oder infrage stellt. Da gäbe es den ein oder anderen in der AfD, der die Merkmale dafür erfüllt. Das wäre meiner Meinung nach besser, als die ganze Partei zu verbieten.
Interview: Andreas Schmid