Aufstieg einer Genossin

von Redaktion

Eckt gern an: Als Arbeitsministerin hat sich Bärbel Bas schon den ersten Koalitionsstreit eingehandelt. © picture alliance

München – Sie hatte an diesem Abend zwei, drei Gläser Wein. Es war ein einfacher Kino-Abend im Jahr 2021, Bärbel Bas und eine Fraktionskollegin schauten sich den Film „Die Unbeugsamen“ an, eine Doku über die Politikerinnen Westdeutschlands – und den Sexismus im männerdominierten Bundestag. Danach haben sich die beiden SPD-Frauen Bas zufolge geschworen: „Wenn uns ein Amt angeboten wird, sagen wir Ja. Nicht hinterfragen, nicht zweifeln. Wir fackeln nicht lange.“

Kurz darauf hat der damalige SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Bas gefragt, ob sie sich vorstellen könnte, Bundestagspräsidentin zu werden. Plötzlich hatte die Duisburgerin, die zuvor kaum jemand kannte, das zweithöchste Amt in der Republik inne, trat in die Fußstapfen starker CDU-Männer wie Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble. Viel höher geht es auf der Karriereleiter kaum – deshalb wurde zuletzt lange gerätselt, welchen wichtigen Posten Bas in dieser Legislaturperiode bekommt. Sie wurde als Arbeitsministerin oder als SPD-Chefin gehandelt. Nun wird sie wohl beides.

Bärbel Bas, Jahrgang 1968, kinderlose Witwe. Eine Frau aus dem Pott, die Fußball spielt, Harley fährt und das Schweißen gelernt hat – sie will den Platz der unbeliebten Saskia Esken übernehmen und sich gemeinsam mit Lars Klingbeil an die Parteispitze wählen lassen. Ihr Lebenslauf liest sich wie eine Blaupause für den sozialdemokratischen Aufstieg: Als zweitälteste von sechs Geschwistern ist sie in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, der Vater Busfahrer, die Mutter Hausfrau. Wenn das Geld knapp war, erzählte sie einst dem „Spiegel“, dann ging sie mit ihrer Mutter zum Sozialamt. „Da haben wir die Schuhe einem Sachbearbeiter gezeigt, und der hat entschieden, ob es neue gibt oder nicht.“

Traumberuf: Technische Zeichnerin. Daraus wurde nichts. Bas, Hauptschulabschluss im Jahr 1984, lernte stattdessen in der Berufsfachschule, wie man einen perfekten U-Stahl feilt und ließ sich dann später zur Bürogehilfin bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft ausbilden. Dann folgten Umschulungen, Weiterbildungen, Abendstudium. Als sie 2009 als Direktkandidatin in den Bundestag einzog, betreute sie als Abteilungsleiterin bei einer Betriebskrankenkasse mehr als 200 Mitarbeiter.

Mit Bas als Co-Chefin stellt sich die SPD zumindest so halb neu auf. Nach dem historisch schlechten Wahlergebnis muss allein Saskia Esken die Konsequenzen tragen. Sie kündigte am Wochenende ihren Rückzug an, um vor allem jungen Frauen in der Partei Platz zu machen. Die 57-jährige Bas dürfte sie damit nicht gemeint haben. Und so wirklich freiwillig war ihr Abgang auch nicht: Esken wurde von den eigenen Reihen aus ihrem Amt gedrängt, nachdem sie sich immer wieder grobe Patzer in Talkshows geleistet hatte (können aus Solingen „nicht viel lernen“). Derweil ist es Klingbeil gelungen, seine Macht immer weiter auszubauen.

Der Finanzminister und Vizekanzler schneidert die SPD auf sich zu. Die Ministerriege der Genossen besteht allein aus Vertrauten und Freunden. Die Klingbeilisierung der Sozialdemokraten ist inzwischen so auffällig, dass sich vor allem die Frauen und der linke Flügel immer mehr über ihren Parteichef echauffieren. Dort heißt es, es sei „unanständig“, wie Klingbeil mit Kollegin Esken umgegangen sei.

Bärbel Bas, selbst aus dem linken Flügel, ist da eher zurückhaltend. Sie sprach sich bereits vor einigen Wochen dafür aus, dass Klingbeil weiterhin Parteichef bleibt – und schwieg zur Personalie Esken. Auch der neue Generalsekretär der SPD, der 33-jährige Tim Klüssendorf aus Lübeck, ist zwar Sprecher der Parlamentarischen Linken – pflegt aber ein gutes Verhältnis zu Klingbeil, der dem konservativen Seeheimer Kreis angehört. Genau solche Personalien braucht Klingbeil an seiner Seite, um die verschiedenen Strömungen in der Partei zusammenzuhalten.

Bas, Klingbeil und Klüssendorf müssen sich noch beim Parteitag Ende Juni auf ihre Posten wählen lassen. „Es ist mir nicht ganz leichtgefallen, aber ich freu mich drauf“, sagte Bas gestern zu ihrer Kandidatur. Als neue Arbeitsministerin hat sie bereits einen Vorgeschmack auf ihren Führungsstil gegeben. Mit ihrer Forderung, auch Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rente einzubeziehen, hat sie am Wochenende prompt einen Koalitionsstreit mit der Union entfacht. Kaum im Amt – und schon auf Krawall gebürstet.

Artikel 1 von 11