Ein Kanzler der Mitte

von Redaktion

Merz‘ Regierungserklärung

Carsten Linnemann hatte die Latte unnötig hoch gelegt: Eine „Agenda-2030“-Rede kündigte der CDU-General im Vorfeld von Friedrich Merz‘ erster Regierungserklärung an. Doch natürlich kann ein Kanzler im Bundestag keine Ankündigungen machen, die weit über den eben ausgehandelten Koalitionsvertrag hinausgehen. Der Überraschungseffekt blieb gestern also ebenso aus wie ein rhetorisches Feuerwerk. Dennoch war es ein wichtiger Auftritt: weil Merz die Richtung vorgab, die diese Koalition gemeinsam nehmen will – anders als die drei Ampelparteien, die meist in verschiedene Richtungen strebten.

Inzwischen wird klarer, wie der neue Kanzler sein Amt interpretieren will: Während die Welt um Deutschland immer chaotischer wird und die politischen Debatte im Netz immer aufgeregter, tritt Merz betont sachlich auf. Keine Spur mehr von Wahlkampfrhetorik, die „kleinen Paschas“ sind Geschichte. Nein, da steht ein Kanzler, der die Mitte des Landes repräsentieren will, ein Pragmatiker der Macht: Deutschland sei ein Einwanderungsland, stellt der CDU-Chef in bester Merkel-Manier klar – um zugleich den massiven Ausbau der Grenzkontrollen zu rechtfertigen. Er fordert von der Bevölkerung mehr Fleiß ein und kündigt eine Befreiung der Wirtschaft von zu viel Bürokratie an – spricht aber auch über höheren Mindestlohn, Tarifbindung und das große soziale Problem des billigen Wohnraums.

Natürlich richtet sich diese Rede auch an die SPD, in der immer noch etliche mit Merz als Kanzler fremdeln. Und wer deren Bedenken lindern will, sollte nochmals über die Besetzung des Koalitionsausschusses nachdenken. Sollte darin am Ende mit Bärbel Bas wirklich nur eine Frau sitzen, wäre dies für das Bild einer mittigen Modernisierungskoalition geradezu peinlich. Auch ohne die Grünen muss der 69-jährige Merz diese Fragen verinnerlichen.

Man strebe „kein ideologisches Großprojekt an“, verspricht Merz, sondern wolle gemeinsam die Probleme des Landes in Angriff nehmen. Und wo AfD-Chefin Alice Weidel kurz darauf schon wieder nach russischem Gas ruft, sagt Merz selbstbewusst: „Es liegt nur an uns selbst.“ Das ist eine ausgestreckte Hand an alle, die sich eher aus Verzweiflung den Extremen von Rechts und Links angeschlossen haben. Keiner, dem Deutschland am Herzen liegt, sollte sie ausschlagen.
MIKE.SCHIER@OVB.NET

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