„Fahr nach Istanbul und verhandle, verdammt noch mal“: Lula (l.) will Putin ins Gewissen reden. © Shemetov/AFP
Moskau – Die geplanten Verhandlungen in der Türkei über die Beendigung des Ukraine-Kriegs wurden schon vor Beginn zu einer Nervenprobe. Moskau hat lange offen gelassen, wer von russischer Seite heute an den Gesprächen in Istanbul teilnimmt. Gestern veröffentlichte der Kreml am späten Abend eine Liste – und Kremlchef Wladimir Putin stand nicht darauf. Demnach wird die russische Delegation von Präsidentenberater Wladimir Medinski, dem stellvertretenden Außenminister Michail Galusin und dem Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin angeführt.
Putin hatte das Treffen selbst vorgeschlagen, sich aber nicht dazu geäußert, ob er persönlich anreist. Dies wiederum ist eine Forderung der Ukrainer, deren Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Türkei nach eigenen Worten auf Putin wartet, da dieser allein in Russland das Sagen über Krieg und Frieden habe. Zuvor hatten die „Washington Post“ und das exilrussische Onlineportal „Agentstwo“ unter Berufung auf kremlnahe Quellen berichtet, die russische Delegation werde zwar nicht von Putin, dafür aber von Außenminister Sergej Lawrow angeführt. Nun reist aber offenbar nur Lawrows Stellvertreter Galusin mit. Auch Putins außenpolitischer Berater, Spitzendiplomat Juri Uschakow, hätte den Berichten zufolge dabei sein sollen – doch sein Name bleibt auf der veröffentlichten Liste ebenfalls unerwähnt.
„Die Delegation wird politische und – ich würde sagen – eine Unmenge an technischen Fragen erörtern“, hatte Uschakow zuvor noch im Staatsfernsehen gesagt. „Ausgehend davon wird ihre Zusammensetzung bestimmt.“ Moskau hatte in der Vergangenheit schon deutlich gemacht, dass ein Treffen der Staatschefs gut vorbereitet sein müsse. Diese kämen in der letzten Phase der Verhandlungen zusammen, wenn die technischen Details geklärt sind.
Zuletzt war der Druck auf Putin immer größer geworden, international wurden die Forderungen nach einer persönlichen Beteiligung des Kremlchefs immer lauter. US-Präsident Donald Trump bekräftigte seine Bereitschaft, nach Istanbul zu kommen, wenn es eine Chance auf eine Lösung gebe. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kündigte an, Putin persönlich von einer Teilnahme überzeugen zu wollen. Er werde bei seinem Rückweg aus China einen Zwischenstopp in Moskau einlegen und versuchen, mit Putin zu sprechen, sagte Lula in Peking. „Es kostet mich nichts zu sagen: ‚Hey, Kamerad Putin, fahr nach Istanbul und verhandle, verdammt noch mal‘.“ Russischen Medien zufolge ist sein Flieger inzwischen in Moskau gelandet.
Wenn Putin nicht erscheine, sei das ein klares Signal für die Welt, dass Moskau keinen Frieden wolle und „nicht bereit für ernsthafte Verhandlungen“ sei, erklärte der Chef der ukrainischen Präsidialkanzlei, Andrij Jermak. Zudem forderte er Sanktionen gegen Russland, falls der Kremlchef nicht in die Türkei reise. Dieser wiederum hat die Weltpolitik bis zuletzt zappeln lassen – und mit seiner Absage Hoffnungen auf den Beginn eines möglichen Friedensprozesses gedämpft.
ANDRE BALLIN/ULF MAUDER