Bluffen sie? Putin (o.) und sein Verhandler Medinski (u.). © dpa
Treffen in Ankara: Der türkische Präsident Erdogan (r.) empfängt seinen ukrainischen Kollegen Selenskyj. © afp
München – Er ist ein Spieler, das weiß man nicht erst seit gestern. Tagelang ließ Wladimir Putin offen, ob er in die Türkei reisen würde, zu jenen Verhandlungen, die er selbst vorgeschlagen hatte. Die Chance, das ahnte man, war nicht sehr groß, viele hielten das Gesprächsangebot für Taktik, um von den Forderungen nach einer Waffenruhe abzulenken. Offenbar ist da etwas dran: Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gestern in die Türkei aufbricht, ist schon klar, dass Putin nicht kommt.
Eine Überraschung ist das nicht, aber ein klares Signal: Nicht mal seinen Außenminister Sergej Lawrow, über dessen Teilnahme spekuliert wurde, schickt Putin nach Istanbul. Dafür ein drittklassig besetztes Verhandlerteam. Es sei ein „regelrechtes Täuschungsmanöver“, sagt Selenskyj nach seiner Landung. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erklärt, Selenskyj habe mit seiner Türkei-Reise „ein enormes Entgegenkommen“ gezeigt. „Wer sich jetzt allein ins Unrecht setzt mit seinem Nichterscheinen, ist Putin.“ Neue Russland-Sanktionen seien in Arbeit.
Tatsächlich stellen sich viele Fragen, darunter die, ob die russische Delegation überhaupt gesprächsfähig ist. Angeführt wird sie von Wladimir Medinski, der schon die Friedensgespräche vor drei Jahren in Istanbul für den Kreml führte. Die Kritik von damals, er sei ein allzu leichtes Kaliber, hallt jetzt nach. Für Putin ist der frühere Kulturminister nicht wegen seines Verhandlungsgeschicks von Wert, sondern weil er sich voll der Kreml-Ideologie verschrieben hat. Zuletzt schrieb er sogar Schulbücher, die die Geschichte umdeuten sollen, zugunsten Russlands.
Als wäre die mäßig besetzte, vierköpfige Delegation nicht schon Geringschätzung genug, schickt Lawrow den Gesprächen einen giftigen Gruß voraus. Man solle ihnen eine Chance geben, sagt er beinahe höhnisch. Selenskyj nennt er einen „jämmerlichen Kerl“ und behauptet, in Wahrheit seien es die Europäer, die keinen Frieden wollten. Seine Sprecherin nennt den ukrainischen Präsidenten gar einen „Clown“. Klingt das nach Gesprächs- und Lösungsbereitschaft?
Die Frage, so hofft man im Westen, könnte sich so langsam auch US-Präsident Donald Trump stellen. Er hätte durchaus Grund, sich getäuscht zu fühlen. Immerhin drängt er seit Wochen auf Verhandlungen, erwog zuletzt sogar, spontan selbst in die Türkei zu reisen. Doch statt Putins Fernbleiben zu kritisieren, entschuldigt er es sogar.
Nein, er sei nicht von Putin enttäuscht, sagt Trump, der gerade mehrere Golfstaaten bereist. „Warum sollte er kommen, wenn ich nicht komme?“ Sein Außenminister Marco Rubio erklärt am Donnerstagabend gleich noch, welche Erwartungen die USA jetzt an die geplanten Gespräche haben und das sind „keine hohen“. Er glaube an keinen Durchbruch bei den Gesprächen, bis sich Trump und Putin „Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzen“. Tatsächlich sagte Trump aber erst final ab, als klar war, dass Putin nicht in die Türkei reisen würde. Egal, Trump gibt sich optimistisch: Er glaube, dass es „mit Russland und der Ukraine gut laufen wird“. Gleichzeitig lobt er sich gestern für die Kürzungen bei der US-Militärhilfe für Kiew. „Das war so einfach, wie einem Baby die Süßigkeiten zu klauen.“
Die ursprünglich für Donnerstagnachmittag geplanten direkten Gespräche zwischen Kiew und Moskau finden erst am heutigen Freitag statt – ohne Selenskyj. Nach seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten in Ankara kündigt er an, nicht nach Istanbul zu reisen. Verhandeln soll eine von Verteidigungsminister Rustem Umjerow angeführte, zwölfköpfige Delegation. Die Erwartungen liegen weit auseinander. Der Ukraine geht es um einen Waffenstillstand, den Russen um die „Grundursachen“ des Konflikts. Dahinter stecken die Maximalforderungen an die Ukraine, etwa der Verzicht auf Gebiete und die Nato-Mitgliedschaft.
MIT DPA/AFP