Eine Milliarde Euro schickt Berlin jährlich nach Neu-Delhi – als Kredit, nicht als Spende. © IMAGO
München – Es war ein zäher Machtkampf. Dabei waren sich Union und SPD während der Koalitionsverhandlungen zumindest in einem Punkt einig: dass sich in der Entwicklungspolitik grundlegend etwas ändern muss. Doch während Friedrich Merz, jetzt Kanzler, das zuständige Ministerium am liebsten gleich gestrichen hätte, wollten die Sozialdemokraten das Haus stärken, mehr investieren. Was ist aus dem Streit geworden?
Auf den ersten Blick scheint sich zwar die SPD mit einem eigenen Ressort unter der neuen Ministerin Reem Alabali-Radovan durchgesetzt zu haben. Bei ihrem Amtsantritt versprach die 35-Jährige, dass die Entwicklungspolitik „neu aufgestellt“ werde. Wie genau, ließ sie offen. Kein Wunder: Ein Hinweis der Union in Zeile 4273 des Koalitionsvertrags schränkt ihren Spielraum deutlich ein: Darin steht, dass angesichts knapper Kassen eine „angemessene Absenkung“ der Entwicklungshilfe nötig sei.
„Das lässt natürlich viel Raum für Fantasie“, sagt Stephan Klingebiel vom German Institute of Development and Sustainability in Bonn. Klar ist: Deutschland spart bereits seit Jahren. 2024 zahlte Berlin 32,4 Milliarden Dollar an die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – das sind 0,67 Prozent des BIP. Damit hat Berlin das international vereinbarte 0,7-Prozent-Ziel erstmals seit fünf Jahren verfehlt.
Eigentlich war das 0,7-Prozent-Ziel der Vereinten Nationen „lange Zeit unstrittig“, sagt Experte Klingebiel. Doch inzwischen stellen es immer mehr Länder infrage. Präsident Donald Trump hatte zuletzt beschlossen, 83 Prozent der US-Entwicklungshilfe zu streichen, und auch andere große Geber wie Großbritannien oder die Niederlande ziehen sich zurück. Die Bayern-Agenda der CSU sieht sogar nur noch 0,35 Prozent als Zielmarke vor.
Grüne Kühlschränke für Kolumbien, emissionsarmer Reisanbau in Thailand, Radwege für Peru: Es wird viel darüber geschimpft, dass Millionenbeträge in die Welt verteilt werden, wo doch an allen Ecken gespart werden muss. „Viele Kritiker denken, dass Entwicklungsgelder wie Geschenke ins Ausland fließen“, erklärt Klingebiel. Dabei würde ein großer Teil der Hilfen Deutschlands Grenzen nicht mal verlassen. „Flüchtlingskosten in Deutschland machen etwa 20 Prozent der Entwicklungshilfen im vergangenen Jahr aus – und die kommen vor allem Geflüchteten aus der Ukraine zugute.“
Denn ein erheblicher Teil der Mittel ist keine Spende aus dem Bundeshaushalt, sondern wird als Förderkredit über die KfW vergeben. Beispiel Indien: Berlin stellt jährlich rund eine Milliarde Euro bereit – vor allem für den Ausbau Erneuerbarer Energien. 90 Prozent davon muss Indien verzinst zurückzahlen. „Davon profitieren auch deutsche Unternehmen – etwa beim U-Bahn-Bau in indischen Großstädten“, sagt Klingebiel. In der politischen Debatte werde seiner Meinung nach häufig übersehen, wie sehr die Entwicklungszusammenarbeit auch deutschen Interessen dient – etwa in der Asylpolitik. Laut Koalitionsvertrag soll sie künftig auch ein „zentraler Hebel in der Migrationssteuerung“ sein. Konkret heißt das: Wer sich weigert, abgeschobene Staatsbürger zurückzunehmen, könnte künftig mit weniger Geld rechnen.
Nur ein gutes Drittel der gesamten Kosten kommen aus dem Etat des Entwicklungsministeriums – der Rest läuft über andere Etats, unter anderem über das Auswärtige Amt. In der Union gibt es den Plan, der neuen SPD-Ministerin sehr genau auf die Finger zu schauen. „Die komplette Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben“, sagt der Münchner Abgeordnete Wolfgang Stefinger. „Jetzt geht es darum, dass die neue Ministerin das auch umsetzt.“ Der CSU-Mann soll den Entwicklungs-Ausschuss im Bundestag führen. Er nennt als neue Leitziele auf dem Politikfeld, Fluchtursachen aktiver als in der letzten Regierung zu bekämpfen, und auch nationale Interessen durchzusetzen: den Zugang zu Rohstoffen zu gewährleisten, die Rücknahme von Flüchtlingen durchzusetzen.
Hinter den Kulissen wurde offenbar um jedes Wort im Vertrag gerungen. Anders als von der Union geplant bleibt es nun auch bei Geldern für das Hamas-nahe UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA. Stefinger sagt, man sehe die extreme humanitäre Not im Gazastreifen, „keine Hilfsorganisation wäre sofort in der Lage, hier einzuspringen“. Zugleich brauche es dringend eine UNRWA-Reform.