„Riesengroßes Interesse“ habe das Land an einer staatlichen Leistung, die pflegende Angehörige wirtschaftlich entlastet, sagt Familienministerin Karin Prien. © Oppitz/KNA
München – Am Handlungsbedarf hat Karin Prien keinen Zweifel. Deutschland habe ein „riesengroßes Interesse“ daran, im Kampf gegen den Pflegenotstand mit einer Sozialleistung für pflegende Angehörige gegenzusteuern. Die CDU-Familienministerin spricht sich im Funke-Interview für einen staatlichen Lohnersatz aus – mit einer gravierenden Einschränkung. Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Was plant Prien?
Sie stellt einen „Einstieg in ein Pflegegeld als Lohnersatz für pflegende Angehörige“ in Aussicht. Wer ein Familienmitglied zu Hause betreut, soll dafür seine berufliche Tätigkeit aussetzen können und eine staatliche Leistung als Ausgleich bekommen: „Es wird mit unserer demografischen Entwicklung nicht möglich sein, dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird.“ In ihrem Koalitionsvertrag hatten Union und SPD recht unverbindlich formuliert, man wolle „prüfen, wie perspektivisch ein Familienpflegegeld eingeführt werden kann“.
Wie genau soll die Leistung ausgestaltet sein?
Da bleibt Prien vage. Es seien „viele Varianten denkbar“, ohne jedoch Größenordnungen zu nennen. Unter anderem nennt sie die Bezugsdauer, Höhe oder soziale Staffelung.
Ist Priens Plan so neu?
Bereits 2023 hat der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf, den das Familienministerium 2015 ins Leben rief, ein Modell vorgestellt, das sich am Vorbild des Elterngeldes orientierte. Auch pflegende Angehörige sollten einen Teil des entgangenen Gehalts ersetzt bekommen: 65 Prozent des Nettoverdienstes, mindestens 300 Euro im Monat, 1800 Euro als Obergrenze. Die Bezugsdauer solle dem Gremium zufolge auf drei Jahre begrenzt sein.
Welche Unterstützung gibt es bereits?
Die Pflegeversicherung zahlt schon heute ein Pflegegeld. Streng genommen geht es an die Bedürftigen, die es weitergeben können an die sie pflegenden Angehörigen. Ausgezahlt wird es ab dem Pflegegrad 2, hier liegt es bei monatlich 347 Euro. Auf Arbeitslosengeld wird es nicht angerechnet. Die maximale Auszahlung liegt bei 990 Euro in Pflegegrad 5. Zum Vergleich: Übernimmt ein ambulanter Dienst die Pflege, beträgt die maximale staatliche Leistung 2299 Euro in Grad 5.
Unter welchen Bedingungen kann man bereits heute die Erwerbsarbeit zugunsten der Pflege unterbrechen?
In akuten Fällen können sich Arbeitnehmer bis zu zehn Tage freistellen lassen. In dieser Zeit haben sie Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld, das 90 Prozent des Nettogehalts beträgt. Für längere Auszeiten gibt es Pflegezeit (Freistellung vollständig oder teilweise für maximal sechs Monate) sowie Familienpflegezeit (verringerte Arbeitszeit auf mindestens 15 Wochenstunden für maximal zwei Jahre). Diese Angebote sind jedoch von der Größe des Betriebs abhängig (mindestens 15 bzw. 25 Mitarbeiter) und bedeuten keinen echten Lohnersatz – sondern einen zinslosen staatlichen Kredit.
Gibt es in Bayern eine weiterreichende Regelung?
Der Freistaat zahlt als bisher einziges Bundesland ein Landespflegegeld in Höhe von 1000 Euro pro Jahr. Es steht allen Personen mit einem Pflegegrad von mindestens 2 zu. Ab dem kommenden Jahr wird es auf 500 Euro halbiert.
Wie realistisch ist die Umsetzung von Priens Plan?
Sie macht selbst eine entscheidende Einschränkung. Voraussetzung sei ein wirtschaftlicher Aufschwung des Landes. Und auch in diesem Fall werde man „Schwerpunkte setzen müssen. Und oberste Priorität hat für mich mehr Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche.“ MARC BEYER