Partei-Jugend gegen rechts: Anti-AfD-Demo in Berlin, allen voran Jette Nietzard (Mi.), Chefin der Grünen Jugend. Daneben Co-Chef Jakob Blasel (li.) und Juso-Chef Philipp Tuermer (re.) © pa
München – Manche Dinge kann Politik einfach nicht lösen. Aber Jette Nietzard ist das egal. „Heute ist feministischer Kampftag“, sagt die junge Frau in ihre Handykamera, „und Männer wollen uns wieder Blumen schenken. Aber wie wär’s, wenn sie uns einfach mal Orgasmen schenken?“ Die würden Frauen in Hetero-Beziehungen nämlich zu 30 Prozent weniger bekommen als ihre Partner, sagt die 26-Jährige. Dann endet der Clip auch schon. Willkommen im Politikstil der Generation TikTok.
„Die ist wirklich Politikerin“, kommentiert ein Nutzer erstaunt. Stimmt. Nietzard, Chefin der Grünen Jugend, hat dieses Video am 8. März hochgeladen – für die meisten Menschen wäre das eher der Weltfrauentag als ein feministischer Kampftag. Aber Nietzard mag lieber Aussagen mit Sprengkraft. Wenn sie sich zu Wort meldet, dann um gehört zu werden. Und um zu provozieren. „So funktioniert Aufmerksamkeitsökonomie“, erklärt sie schulterzuckend.
Man könnte auch sagen: Aufregung um jeden Preis. Nietzard beherrscht das blendend. Nach der letzten Silvesternacht – fünf Tote, viele Verletzte – sorgte sie auf ganz eigene Weise für Krawall: „Männer, die ihre Hand beim Böllern verlieren, können zumindest keine Frauen mehr schlagen“, postete sie auf X.
So hat Nietzard, da noch ganz frisch auf ihrem Posten, das erste Mal bundesweit Schlagzeilen gemacht. Sie löschte den Post, entschuldigte sich, bereut ihn aber bis heute nicht. „Ich habe eingesehen, dass er zu überspitzt formuliert war“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Aber seitdem sei in fast allen ihrer Interviews auch häusliche Gewalt ein Thema. „Mit etwas Abstand betrachtet würde ich heute sagen: Shitstorms können sich auch lohnen.“
Für die Grünen-Nachwuchschefin sind solche Ausreißer mehr Strategie als Unfall. Darüber wächst auch parteiintern Unmut. Als FDP-Chef Christian Lindner im Februar seinen Rückzug ankündigte, kommentierte Nietzard süffisant, sie freue sich, „dass der Mann von Franca Lehfeldt jetzt kürzertritt, um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen“. Grünen-Urgestein Renate Künast reagierte scharf: „Jette, das ist unsouverän und macht dich klein.“
Nietzard verschiebt den Diskurs bis an die Schmerzgrenze – und zeigt dabei auch gegenüber Parteikollegen wenig Milde. Als dem früheren Grünen-Abgeordneten Stephan Gelbhaar sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde (obwohl zentrale Anschuldigungen frei erfunden waren), sagte sie, die Unschuldsvermutung gelte vor Gericht, nicht in einer Partei. Der Münchner Grünen-Politiker Dieter Janecek antwortete, „für diese Grüne Jugend kann man sich nur schämen“.
„Renate Künast und Dieter Janecek sind politisch in einem ganz anderen Flügel der Partei unterwegs und eine ganz andere Generation“, erklärt Nietzard nun. „Die beiden haben natürlich ein in Teilen anderes Weltbild als ich“, sie sei gewählt worden, um für junge Menschen zu sprechen. „Dann mache ich meinen Job wohl ganz gut, wenn die beiden nicht meiner Meinung sind.“
Es war nie Nietzards Priorität, die Grüne Jugend mit der Mutterpartei zu versöhnen. Obwohl sie das nötig gehabt hätte: Als der Vorstand Ende September geschlossen aus der Partei trat, weil ihm Robert Habecks Politik nicht mehr links genug war, schien es, als implodiere die Partei. Nietzard hätte vermitteln können, sagte aber bereits in ihrer Bewerbungsrede, die Grünen „bauten Scheiße“ und sie wolle der Mutterpartei „zeigen, wo links ist“. Sie bekam rund 85 Prozent.
Nietzard will die Grünen verändern, nach links verschieben. Selten habe es dafür einen besseren Zeitpunkt gegeben, meint sie. Zieht man die Provokationen ab, bleiben von ihrer Politik vor allem Maximal-Forderungen übrig – etwa ein „Sondervermögen für Seenotrettung“. Und auch privat liefert Nietzard Reibepunkte. Etwa, wenn sie auf Instagram Bikini-Fotos, Dating-Tipps und Pole-Dance-Videos postet. „Selbst das wird immer wieder politisch aufgeladen“, sagt sie. „Ich bin eine junge Frau, die Politikerin ist – ja. Aber ich bin auch eine junge Frau, die ihr Bier im Stadion trinkt oder im Tanga-Bikini am Pool liegt.“ Ihr sei es wichtig, sich auch so zu zeigen. Für viele ist das ein Tabubruch. Für Nietzard ist es ein Statement.