„Es fehlt an Planungssicherheit“

von Redaktion

Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles über das Potenzial des Koalitionsvertrags

Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles verlangt mehr Tempo von der deutschen Politik. © Christian Ditsch/pa

Berlin – Die Arbeitslosenzahlen sind im ersten Quartal 2025 nicht so gesunken wie sonst im Frühling. Knapp drei Millionen Menschen sind arbeitslos gemeldet. Im Interview spricht Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, über Probleme, über eine Lösung für die stark betroffene Automobilindustrie und darüber, was sie als Sozialdemokratin vom neuen Koalitionsvertrag der Regierung hält.

Sie sagen, dass wir uns an einer Weggabelung befinden, wo es um das Rennen zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit geht. Was tut die Bundesagentur für Arbeit jetzt, um das Rennen zu gewinnen?

Wir haben – historisch gesehen – zum ersten Mal die Situation, dass auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit steigt, auf der anderen Seite aber die Beschäftigung in bestimmten Branchen noch wächst. Das ist etwas, das uns als Bundesagentur die Möglichkeit gibt, die Betriebe, die Personal abgeben, mit denen in Verbindung zu bringen, die händeringend Personal suchen. Wir nennen das Arbeitsmarktdrehscheibe. Und das machen wir bereits an 30 Standorten in Deutschland.

Das heißt konkret?

Ich war neulich noch in einem großen Unternehmen in Deutschland. Dort fangen wir jetzt auch damit an: Wenn wir von Entlassung hören, dann setzen wir uns sofort in Verbindung, reden mit den Arbeitnehmern und den Arbeitgebern. Und wenn beide ihr Okay geben, dann werden wir aktiv und können präventiv von Arbeit in Arbeit vermitteln. Job to Job – ohne dass man sich erst arbeitslos melden muss. Das ist sozusagen das, was wir in dieser Transformation jetzt anbieten. Natürlich zahlen wir in dieser konjunkturellen Schwächephase auch Kurzarbeitergeld aus. Wir haben immer noch eine deutlich erhöhte Auszahlung von Kurzarbeitergeld. Das wird ja auch über die Bundesagentur für Arbeit abgewickelt, sodass wir in dieser Situation Stabilität reinbringen.

Wenn notwendig ist, dass ich mich umschule oder nochmal weiterbilde?

Wir können Qualifizierung und Weiterbildungen anbieten. Da fällt mir zum Beispiel ein Stahlunternehmen ein: Dort wird bisher konventioneller Stahl hergestellt, es soll aber absehbar Green-Steel werden. Da müssen die ganzen Kollegen, die das machen, eine massive Weiterbildung durchlaufen, ist ja klar. Und da sind wir mit dem Qualifizierungsgeld gerade aktiv. Also, da sehen Sie, wir sind sozusagen ein Teil im gesamten Puzzle der Transformationsentwicklung. Und momentan werden wir auch ganz schön gefordert, weil an allen Stellen, insbesondere in der Industrie, diese Transformation stattfindet.

Was kann Wirtschaft oder Regierung tun, um Sie zu unterstützen?

Momentan fehlt es in der deutschen Wirtschaft, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, in der Chemie, in der Automobilindustrie, an Planungssicherheit. Wir haben im Grunde genommen einfach die Notwendigkeit, infrastrukturelle Investitionen voranzutreiben. Und das ist alles in den Händen der neuen Bundesregierung. Sie hat die Voraussetzungen geschaffen, indem sie ein Finanzpaket ermöglicht, und sie hat im Koalitionsvertrag diese Felder auch alle benannt. Ich finde den wirtschaftspolitischen Teil im Koalitionsvertrag gut, der hat viel Potenzial. Und was wir jetzt brauchen, ist, dass die Akteure ins Tun kommen. Und zwar möglichst schnell, mit einer hohen Geschwindigkeit, und diese Sachen jetzt umsetzen. Denn diese Unsicherheit, die kostet Arbeitsplätze.

Was wäre das Worst-Case-Szenario?

Ich sage das mal ganz klar, das merken wir ganz deutlich: Wenn Unternehmen keine Zuversicht mehr in den Standort Deutschland haben, wenn sie hier das Gefühl haben, „wir sind hier auf dem Rückzug und nicht in der Vorwärtsbewegung“, dann entscheiden sie sich möglicherweise für andere Standorte. Und genau dafür, dass das nicht passiert, kann die Politik jetzt eine Menge tun – und natürlich auch die einzelnen Unternehmen. Aber das ist die Hoffnung, dass wir jetzt auch einen Wechsel hin zu mehr Zuversicht und zu mehr Bereitschaft bekommen, wieder in den deutschen Standort zu investieren.

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