Der geheime Chef-Ausschuss

von Redaktion

Die einzige Frau in einer Männerrunde: Saskia Esken, hier mit Kanzler Friedrich Merz im Bundestag. © Hirschberger/AFP

Berlin/München – Die Bundespolitik hat ihre besonderen Rituale zur Inthronisierung. Feierliche Amtseide, Ernennungs-Urkunden mit schwarz-rot-goldener Siegelschnur, ein würdevoller Händedruck vom Bundespräsidenten unter rot geränderter Standarte mit Adler: All das haben Friedrich Merz und seine Minister in diesem Mai absolviert. Völlig unscheinbar, ohne jede Zeremonie, tritt dafür morgen erstmals das Gremium zusammen, dessen Arbeit darüber entscheiden soll, ob sich all das Gewese um die neue Regierung lohnt: Abseits der Öffentlichkeit, ohne Kameras, tagt der Koalitionsausschuss.

Eigentlich gibt es dieses Gremium gar nicht, jedenfalls in keiner Verfassung, keinem Gesetz. Einzig der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD regelt auf seinen hintersten Seiten, Zeile 4493, man treffe sich „grundsätzlich monatlich“ und berate „Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung“. So was hat inzwischen fast jede Regierung; nicht immer werden dort wirklich wichtige Fragen aber gelöst, die Ampel-Koalition etwa zoffte sich dauernd weiter. Teilweise liefen die Sitzungen völlig aus dem Ruder: Im März 2023 beriet die Ampel 30 Stunden lang, um sich auf ein „Modernisierungspaket“ zu einigen.

Die neue Koalition will das besser machen. Vor allem der jetzige CSU-Innenminister Alexander Dobrindt, der schon in den Merkel-Koalitionen als Scharnier zur SPD fungierte, entwickelte den Plan, den Koalitionsausschuss zum Machtzentrum auszubauen. Jeder Streit aus dem Kabinett soll dort entschieden werden: die große Basta-Runde – aber am besten schon, bevor wochenlang öffentlich gestritten wurde. Vorteile hätte dieses Vorgehen vor allem für Markus Söder. Anders als die anderen Parteichefs sitzt der CSU-Chef nicht am Kabinettstisch und sieht den Ausschuss deshalb als „das entscheidende politische Zentrum“, ein Steuerungsgremium. Der Plan des Ministerpräsidenten: Nur alle vier Wochen in Berlin einschweben, aber voll mitregieren.

Beim ersten Treffen, wohl Mittwochnachmittag, 16.30 Uhr, im Kanzleramt, gibt es noch nicht viele Konfliktfragen. Das Format soll sich erst mal einspielen; Söder fliegt dazu von einer Polen-Reise ein. Die Union möchte vor allem einen Fahrplan für die nächsten Wochen verabschieden, schon vor der Sommerpause will man wichtige Themen auf den Weg bringen. Söders Top 3: Migrationswende, Stärkung der Bundeswehr und Senken der Energiekosten. Noch im Frühjahr soll außerdem ein Anti-Bürokratie-Paket kommen. Die SPD wolle dagegen über den außenpolitischen Kurs reden, heißt es. Verteidigung inklusive.

Im Vorfeld rückt die Frage in den Vordergrund, wer in der mächtigsten Runde der Regierung sitzt. Da gibt es eine Schieflage: Es sind fast nur Männer. Die CDU schickt Friedrich Merz, Jens Spahn, Carsten Linnemann und Thorsten Frei, die CSU Söder, Dobrindt und Alexander Hoffmann. Die SPD kommt mit Lars Klingbeil, Matthias Miersch, Björn Böhning (Staatssekretär im Finanzministerium) – und Saskia Esken. Esken dürfte nach der Neuwahl der SPD-Spitze durch Bärbel Bas ersetzt werden. So oder so: Elf Köpfe, aber nur eine Frau.

Der Aufschrei ist parteiübergreifend. „Wenn der Koalitionsausschuss Herz und Hirn der Bundesregierung sein soll, dann fehlt ihm noch Entscheidendes: Frauen“, sagte die scheidende Vorsitzende der CDU-Frauen-Union, Annette Widmann-Mauz. Elke Ferner (SPD), einst Parlamentarische Staatssekretärin und heute Vorstandsmitglied im Deutschen Frauenrat, sprach von einem „Trauerspiel. Wir sind im Jahr 2025 und nicht mehr im Jahr 1960.“ Grüne und Linke werden noch deutlicher.

Parteichefs, Generalsekretäre, wichtige Minister – alle Mitglieder seien durch ihre Funktion in den Koalitionsausschuss gekommen, verteidigt CDU-General Linnemann die Auswahl. Aber sogar er sagt: „Wir bräuchten eigentlich mehr Frauen.“ Denn: „Alle wissenschaftliche Studien und auch meine Berufserfahrung sagen, dass gemischte Teams die besten Ergebnisse erzielen.“ Die Schieflage zeichnete sich seit Wochen ab. Trotzdem verzichteten Merz und Klingbeil darauf, das Gremium zu erweitern, beispielsweise um Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und eine weitere SPD-Ministerin.

Stattdessen nimmt eine andere Debatte Fahrt auf: Mehrfach kamen zuletzt auch aus der Union Forderungen, das Amt des Bundespräsidenten ab März 2027 mit einer Frau zu besetzen.

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