KOMMENTARE

Die Grenzen der Staatsräson

von Redaktion

Merz kritisierte Israel

Nach der beispiellosen Attacke der Hamas am 7. Oktober 2023 war das Verständnis für die harte Reaktion Israels einhellig. Doch die Regierung von Benjamin Netanjahu hat diese weltweite Solidarität mit ihrer neuen Offensive, dem Abbruch der Katar-Verhandlungen und der unmenschlichen Aushungerungs-Strategie verspielt. Die Gefahr ist groß, dass die Kritik an dieser Regierung umschlägt in pauschale Kritik am jüdischen Staat.

Insofern tun die differenzierten Äußerungen des Antisemitismusbeauftragten Felix Klein, aber auch die des CDU-Außenexperten Armin Laschet gut: Das viel kritisierte Wort, dass es deutsche „Staatsräson“ ist, das Existenzrecht Israels zu verteidigen, schließe eben nicht aus, die derzeitige israelische Regierung als in Teilen rechtsextrem und deren Kriegsführung als völkerrechtswidrig zu kritisieren.

Aber die berechtigte Kritik darf nicht zur Naivität gegenüber der Hamas führen: Es ist auch Teil der traurigen Wahrheit, dass die Hamas die UN-Nahrungsmittelhilfen bislang kontrolliert hat (wie Recherchen der „Washington Post“ zeigen). Und wahr ist auch, dass eine Kapitulation der Islamisten das Leid der Palästinenser jederzeit beenden könnte. Das Problem ist jedoch, dass auch auf israelischer Seite derzeit Extremisten die Agenda bestimmen. Wie die Hamas setzt auch Netanjahu den Hunger der Zivilisten als Waffe ein. Die israelische Regierung will zudem mit den von ihr geforderten Verteilzentren für die Hilfsgüter offensichtlich die Basis für ihre Vertreibungspläne schaffen.

Zu all dem muss eine Bundesregierung Nein sagen – gerade weil für uns das Existenzrecht Israels „Staatsräson“ ist. Ohne eine Perspektive für die Palästinenser wird Israel niemals Sicherheit bekommen. Die Umsiedlung von Millionen Palästinensern gegen ihren Willen wäre ein Jahrhundert-Verbrechen, das weltweiten antisemitischen Terror auslösen würde.

Bisher war die Arbeitsteilung innerhalb der EU, dass Spanien und Frankreich Netanjahu lautstark kritisieren und Deutschland mit stiller Diplomatie Druck macht. Erstmals greift jetzt auch Kanzler Merz zu offener Kritik. Diesen klaren Worten muss auch eine deutsche Unterstützung eines EU-Waffenboykotts gegen Israel folgen, falls Netanjahu keine Bewegung zeigt.
KLAUS.RIMPEL@OVB.NET

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