Neugier auf Frau Präsidentin

von Redaktion

Kennen sich lange: Julia Klöckner (li.) war unter Ilse Aigner Staatssekretärin in Berlin. © Gambarini/dpa

München/Berlin – Als neulich die ganze Welt auf Berlin starrte, stand Ilse Aigner mitten im Bild. Kanzlerwahl im Bundestag, ein unerwartet spannendes Spektakel, immer wieder schwenkten die Live-Kameras der großen Sender auf die kleine Ehrentribüne des Parlaments: Dort saß, stand, plauderte, telefonierte, grüßte die CSU-Politikerin, absolut unübersehbar zwischen Angela Merkel und Charlotte Merz. Vor Millionenpublikum wurde deutlich, dass Aigner vertraut ist mit der Berliner Szenerie.

Vielleicht muss man sich an dieses Bild gewöhnen. Denn in diesen Tagen schwillt in der Hauptstadt mal wieder das Gemurmel an, die Oberbayerin sei für einen Wechsel nach Berlin im Gespräch. Wenn Anfang 2027 ein neuer Bundespräsident gewählt wird, sei sie doch die perfekte Kandidatin. Neu ist das nicht, seit Monaten ist das schon eine beliebte Spekulation. Mancher Beobachter gähnt etwas matt bei solchen Nennungen. Allerdings häufen sich die Hinweise. Beteiligte sagen halblaut: Ja, da sei was dran. Ergänzt durch den ewigen Hinweis: Nix is fix.

Vor allem CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann heizte die Präsidentinnen-Sache an mit Talkshow-Äußerungen, die Zeit sei reif für eine Frau an der Staatsspitze: „Das würde Deutschland gut tun.“ Mehrere Parteifreundinnen unterstützten das. Dahinter kommt die Union kaum noch zurück. Kanzler Friedrich Merz (CDU) dürfte nach den Schlagzeilen um seine Männerbünde im Koalitionsausschuss liebend gern demonstrativ eine Frau auf den Schild heben. Noch lieber Aigner, mit der er persönlich gut und eng befreundet ist, sie wandern und biken gemeinsam und reden unterwegs sogar noch über anderes als Politik. Nach allem, was zu hören ist, gibt es keine Absprache zwischen den Parteien, nur Andeutungen zwischen Merz und Aigner; und Signale von Seite der SPD, nach Joachim Gauck (bis 2017) und Frank-Walter Steinmeier (bis Anfang 2027) nun eine Unions-Kandidatin zu akzeptieren.

In Berlin kursiert außer Aigner der Name Karin Prien (Bundesfamilienministerin). Irgendwo soll auch Ex-CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mal wiedergesehen worden sein. Und natürlich: Julia Klöckner. Die Bundestagspräsidentin hat in der Hauptstadt eine große Bühne mit vielen Fototerminen. Am Montag reist sie beispielsweise zum Antrittsbesuch nach Paris, inklusive Gespräch mit Emmanuel Macron. Der populären Aigner, inzwischen 60, wird aber am meisten zugetraut, einen verbindlich-warmherzigen Ton zu finden im Bürgerkontakt, gleichzeitig entwickelte sie als Präsidentin im Landtag eine neue Härte im Umgang mit der AfD. Aigner kennt Klöckner lange, von 2009 bis 2011 war die Rheinland-Pfälzerin ihre Staatssekretärin im Agrarministerium.

Der Weg ins Schloss Bellevue ist allerdings verwinkelt. Eine schwarz-rote Mehrheit in der Bundesversammlung (zur Hälfte Bundestagsabgeordnete, zur Hälfte Ländervertreter) gibt es, notfalls genügt im dritten Wahlgang die relative Mehrheit. Doch fünf Landtagswahlen stehen noch an vorher, darunter zwei große: Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März 2026. Brechen CDU und SPD dort entgegen aktueller Umfragen krachend ein, sind diese Machtverhältnisse vorbei.

Offen ist noch, ob CSU-Chef Markus Söder Interesse an dieser Präsidentin hat. Merz könnte ihn zwar umgehen und Aigner einfach vorschlagen, das wäre aber ein schwer heilbarer Affront. Söder dürfte abwägen: Rückt Aigner an die Staatsspitze, ist eher unwahrscheinlich, dass er als Merz-Ersatz infrage käme, falls der Kanzler einmal schwächelt. Andererseits wäre es brandgefährlich für Söder, würde er plötzlich als derjenige dastehen, der die erste CSU-Präsidentin der Geschichte verhindert habe. Dann doch lieber Präsidentinnenmacher? Söder legt sich nicht fest, warnt vor verfrühten Spekulationen, weist aber eigene Ambitionen klar zurück. „Das Amt des Bundespräsidenten ist sicher sehr wichtig, aber nichts für mich.“ Er wolle lieber „die aktive Politik prägen“.

Vor Spätsommer 2026 wird sich keiner in der P-Frage aus der Deckung wagen. Aigner selbst erst recht nicht. Nachfragen von Medien aus Berlin und München, die fast täglich kommen, weicht sie höflich aus. Nicht, dass sie pikiert wäre, im Gegenteil. Aber dass fortan jede Aktion auf Präsidenten-Ambitionen hin überprüft wird – etwa mehrere teils spektakuläre Auslandsreise-Pläne heuer –, ist vorerst nicht in ihrem Sinn.

Aigner war übrigens nicht nur bei Merz‘ Wahl dabei, auch bei seiner Vereidigung wenig später in Schloss Bellevue. Diesmal abseits der Kameras, versteckt zwischen Besuchern. Nach Merz‘ Händedruck vom Bundespräsidenten schnappte sie sich dann den Kanzler – und umarmte ganz unpräsidial, aber sehr herzlich.

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