Syrien: Stille Gefahr unter den Füßen

von Redaktion

Mühsame Arbeit: Minenräumer Thaer Al-Hassani durchsucht ein Feld nach gefährlichen Hinterlassenschaften. © mw

Atmeh – Ali Al-Junds Traum wurde plötzlich zur Katastrophe. Fast 13 Jahre lang träumte er davon, endlich in sein Haus im Norden der syrischen Stadt Hama zurückzukehren. Als 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, musste er mit seiner Familie in ein Flüchtlingslager fliehen. Doch am 8. Dezember passierte, womit niemand mehr gerechnet hatte: Das Regime von Diktator Baschar al-Assad wurde gestürzt. Ali konnte nun endlich nach seinem Haus sehen: Sein komplettes Dorf wurde bei den Kämpfen zwischen Assads Armee und Rebellentruppen zerstört. Als der 28-jährige Autoreiniger einen Betonblock vor seinem Haus wegräumen wollte, explodierte eine Streubombe, zerfetzte ihm das Gesicht und den Unterleib. Seitdem ist Ali ans Bett gefesselt. „Er kann nicht mehr auf die Toilette gehen, deshalb hat er einen Katheter bekommen“, sagt sein Schwager Ghazi Al-Alou. Die Mutter hält seine Hand und weint.

Die Familie lebt auf wenigen Quadratmetern in einer Unterkunft im Flüchtlingslager Atmeh im Nordwesten. Es ist das größte Flüchtlingscamp in Syrien; Hunderttausende trieb der Bürgerkrieg in das Lager an der türkischen Grenze. Ali wohnt mit seinen vier Kindern und der Familie seit 2012 hier.

Nach seinem Unfall musste er mehrmals operiert werden, erzählt Ghazi. Umgerechnet 27000 Euro habe die Familie für die Operationen gezahlt. „Wir mussten alles verkaufen: unsere Autos, das Motorrad und das Haus.“ Das Haus, nach dem sich Ali in all den Kriegsjahren so sehr gesehnt hat. Das Haus, in dem er beinahe sein Leben verloren hätte.

Der gestürzte Diktator Assad setzte mithilfe russischer Streitkräfte jahrelang Minen und Streubomben gegen oppositionelle Kämpfer ein. Antipersonenminen bleiben oft Jahrzehnte im Boden – und stellen eine Gefahr für die Bevölkerung dar. Ähnlich wirken Streubomben: Das sind Raketen mit hunderten Minibomben, die über große Flächen verteilt werden. Experten schätzen, dass bis zu 40 Prozent der Minibomben nicht explodieren, sie bleiben als gefährliche Blindgänger im Boden.

Minenräumer Thaer Al-Hassani (37) ist mit seinem Team von Halo auf einem Feld vor der Stadt Sarakeb stationiert. Sie war im Bürgerkrieg von strategischer Bedeutung, da sich hier mehrere Autobahnen und Straßen kreuzen. „Wir sind hier auf einem ehemaligen Militärstützpunkt des Regimes”, sagt Al-Hassani. Die Arbeiter graben mit einem gepanzerten Radlader den Boden ab, 30 bis 40 Zentimeter tief. Die abgetragene Erde wird zu einem Punkt auf dem Feld gefahren und grob gesiebt: So werden die Sprengkörper von der Erde getrennt. „Wir schaffen ungefähr 650 Quadratmeter am Tag“, sagt Al-Hassani. Vor zwei Tagen hat sein Team zwei Panzerminen gefunden. Mit einem gepanzerten Bagger wurden die Minen zwischen zwei Erdhaufen gebracht – und gesprengt.
MAX WOCHINGER

Artikel 1 von 11