Dienst für Deutschland: Diese jungen Rekruten legen gerade ihren Eid ab. © Jutrczenka/dpa
München – Das Fazit der damaligen Wehrbeauftragten war einigermaßen ernüchternd. Die Bundeswehr sei ihrem selbst gesteckten Personal-Ziel auch diesmal nicht näher gekommen, sagte Eva Högl im März, im Gegenteil. 2024 verlor die Truppe Soldaten, wenn auch nur im niedrigen dreistelligen Bereich. Högl beklagte knapp: „Die Bundeswehr schrumpft und sie wird älter.“
Angesichts der Bedrohung im Osten müsste es andersherum sein. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) will die deutsche Armee zur konventionell stärksten in Europa machen, nicht irgendwann, sondern möglichst bald – und vor allem im Takt mit den ambitionierten Aufrüstungsplänen der Nato, die die Mitgliedstaaten gestern beschlossen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ließ durchblicken, was das mit Blick aufs Personal heißt. Es brauche 50 000 bis 60 000 aktive Soldaten mehr in der Bundeswehr, sagte er in Brüssel. Bisher war grob von 20 000 die Rede.
Viel konkreter wurde er nicht. Dass die Zahl die Truppe vor Probleme stellt, ist aber auch so klar. Schon die bisher angepeilte Zielmarke von 203 000 aktiven Soldaten unterschritt die Bundeswehr, trotz vieler Anwerbebemühungen, immer wieder. Die neue Zielmarke von bis zu 240 000 Männern und Frauen scheint da geradezu utopisch.
Aktuell sieht die Lage so aus: Insgesamt stehen 182 064 Soldaten in Diensten der Bundeswehr – ein Drittel (61 000) dient im Heer, also bei den Landstreitkräften, weitere 27 000 bei der Luftwaffe und 15 000 bei der Marine. Für elektronische Kampfführung, Abwehr von Cyberangriffen und strategische Aufklärung stehen rund 14 000 Soldaten bereit. Hinzu kommen Sanitätsdienst, Feldjäger und Logistik, die die Truppe schützen und versorgen, also: sie durchhaltefähig machen. Die Teilstreitkräfte hängen voneinander ab, ohne die Lufthoheit der Luftwaffe und die Präsenz der Marine auf See wäre das Heer zum Beispiel kaum handlungsfähig. Bei welchem Truppenteil genau Pistorius den größten personellen Mehrbedarf sieht, ist unklar.
Experten mahnen: Für die Landesverteidigung reicht die aktuelle Truppengröße kaum aus. Seit Monaten bemüht sich die Bundeswehr offensiv darum, mehr Personal anzuwerben. Rund 11 000 jungen Menschen, die Freiwillig für sieben bis 23 Monate Wehrdienst leisten, stehen neben 112 000 Zeit- und mehr als 58 000 Berufssoldaten. Im Heimatschutz sind gerade 223 Freiwillige aktiv.
Zwar steigen die Bewerberzahlen langsam an, aber ob das reicht? Fraglich – auch weil viele Bewerber in den ersten Monaten den Freiwilligen Dienst wieder abbrechen. Und der Altersdurchschnitt steigt fortlaufend. Da drängt sich fast schon die Frage auf, ob ein freiwilliger Wehrdienst nach schwedischem Vorbild, wie ihn die Koalition plant, in den nächsten Jahren ausreichen kann.
Die Zweifel daran werden jedenfalls lauter. Der Kommandeur der Heimatschutzdivision, Generalmajor Andreas Henne, sprach sich erst vor einigen Tagen für ein strafferes Modell mit „Pflichtelementen“ aus. Je mehr Soldaten nötig seien, „desto wahrscheinlicher wird es, dass man an die Grenzen der Freiwilligkeit stößt“, sagt er. Kanzleramtschef Thorsten Frei äußerte gestern Bedenken, ob die Truppe ohne Wehrpflicht verteidigungsfähig werden kann. „Ich hoffe, dass es gelingt, Deutschland mit einer Freiwilligenarmee verteidigungsfähig zu machen“, sagte der CDU-Politiker der Funke-Mediengruppe. Das sei aber „sehr anspruchsvoll“.
Und auch Pistorius selbst stellte infrage, ob der neue Wehrdienst ausreicht. Zuletzt hatte er mehrfach klargemacht, dass die Freiwilligkeit nur dann gelte, wenn so der Bedarf gedeckt werden kann. Danach sieht es im Moment eher nicht aus. Angesichts der neuen Nato-Anforderungen muss sich also etwas bewegen. Der neue Wehrbeauftragte Henning Otte forderte Pistorius im „Tagesspiegel“ schon mal auf, „einen konkreten Vorschlag vorzulegen, in dem die Hürden für einen Wechsel hin zur Verpflichtung eines gewissen Kontingents junger Leute nicht zu hoch sind“.