Die Ruhe trügt: Pensionär Horst Seehofer 2023 in seinem Garten © Marcus Schlaf
München – Er wirkte wie ein in sich ruhender Rentner. Horst Seehofer saß in seinem Garten in Ingolstadt-Gerolfing, vor sich einen selbst gebackenen Kuchen, und philosophierte übers Leben nach der Politik. „Wer aufhört, muss loslassen“, sagte er beim Interview mit unserer Zeitung. Er habe sich so oft auf die Zunge gebissen, tue das weiter. Das sei „die erste und vielleicht einzige Ausnahme vom Schweigegelübde“.
Im Hochsommer 2023 war das. Weil Seehofer seit seinem Polit-Rückzug Ende 2021 als Bundesinnenminister wirklich eisern stillgehalten hatte, war der Auftritt bemerkenswert. Unter anderem sein Rat an die Union, mehr über die Asylpolitik zu reden („Wegschweigen ist die falsche Strategie“), wurde gehört und befolgt. Was indes nicht so beständig blieb, ist Seehofers Schweigegelübde. So richtig bissfest ist die Zunge derzeit nicht.
Mit einer Reihe von Interviews und Auftritten in den letzten Monaten (BR, Deutschlandfunk, Bild, Süddeutsche, Spiegel) sorgt der Ruheständler für konstante Medienpräsenz. Erstes Ziel: Er findet lobende Worte für die Bundesregierung von Friedrich Merz, den er früh als künftigen Kanzler gesehen hatte, und vor allem für den Migrationskurs. Ein bisschen spricht daraus ein Wusst-ich‘s-doch, ein spätes Rechthaben.
Immer deutlicher spricht er aber auch aus, dass die CSU mit ihren Wahlergebnissen nicht zufrieden sein darf. Zu seiner Zeit (Ministerpräsident 2008 bis 2018) seien Umfragen unter 40 Prozent noch „einer Katastrophe“ gleichgekommen, sagte er etwa dieser Tage der „SZ“. „Für die CSU in Bayern sind 40 bis 50 Prozent möglich, um es mal vorsichtig zu sagen.“ Der „Bild“ hatte er unlängst gesagt, in Markus Söders Zeit als Parteichef habe die CSU viermal „die schlechtesten (Ergebnisse) in der Geschichte“ geholt; es waren 32 bis 37 Prozent.
Die Abneigung Seehofer/Söder, aufgebrochen im erbitterten Machtkampf bis 2018, gilt sogar in der Politik als ungewöhnlich groß. Beiden fiel es in der Folge nicht leicht, öffentliche Äußerungen übereinander einzustellen (Söder hält sich daran noch). Seehofers Serie, natürlich getriggert durch Journalistenfragen, lässt erahnen: Da ist noch eine Rechnung offen. Offene Kritik am Vorsitzenden ist in der straff geführten CSU selten. Der Ingolstädter, inzwischen 75, scheint auszutesten, ob sich seinen offenen Worten andere anschließen. Bisher eher nicht. In der dafür entscheidenden Landtagsfraktion ist eher Murren zu hören, warum Seehofer medial stichle, aber sich nicht in die Parteigremien wage. Tatsächlich kokettiert der Ehrenvorsitzende sogar damit, dass er jeder Vorstandssitzung unter Söder fernblieb.
Seehofer wägt schon ab, wie weit er provoziert. Manches macht er vorerst nicht: Zum Beispiel hatte die Junge Union in Niederbayern ihn als Redner zu ihrer Versammlung Mitte Juni eingeladen. Söder hätte das mutmaßlich als extremen Affront aufgefasst; Seehofer sagte ab. Auch auf Berliner Talkshows, Maischberger und so, hat er wenig Lust.
Ein paar Rat-Schläge gibt Seehofer der Söder-CSU nun dennoch mit, aktuell via SZ. Sie solle ein kommunales Investitionsprogramm starten, den sozialen Wohnungsbau stärken und mehr Mut zu einer unbequemen Krankenhausreform haben („das ist kein Hexenwerk“). Ausdrücklich empfiehlt Seehofer außerdem Ilse Aigner als Bundespräsidentin. „Ich bin absolut für eine Frau, und von denen, die die CSU präsentieren kann, wäre auch für mich die Ilse an der ersten Stelle. Das traue ich ihr zu.“