Im Streit: Rolf Mützenich (r.) legt sich mit Lars Klingbeil (l.) und Olaf Scholz an. © dpa
Berlin – Es ist ein Angriff auf die schwarz-rote Bundesregierung und auf die eigene Parteiführung rund um Vizekanzler Lars Klingbeil: Prominente SPD-Politiker fordern in einem „Manifest“ eine Abkehr von der Aufrüstungspolitik und direkte diplomatische Gespräche mit Russland. In ihrem Grundsatzpapier, das im Internet kursiert, beklagen die sogenannten SPD-Friedenskreise, von einer stabilen Friedens- und Sicherheitsordnung sei Europa aktuell weit entfernt. Es brauche schrittweise Vertrauensbildung statt Rüstungswettlauf.
Unterzeichnet haben unter anderem Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, Außenpolitiker Ralf Stegner sowie einzelne Abgeordnete und ein sehr großer Anteil von ehemaligen Politikern außer Diensten. Brisant wird das „Manifest“ auch durch den Zeitpunkt: Vor dem Parteitag Ende Juni dürfte es für Unruhe sorgen. Dann wollen die Sozialdemokraten nicht nur ihre Spitze neu wählen, sondern auch den Prozess für ein neues Parteiprogramm nach dem Debakel bei der Bundestagswahl beginnen. Kurz zuvor steht der Nato-Gipfel an, bei dem es um eine deutliche Erhöhung der Verteidigungsausgaben gehen wird.
Die Unterzeichner fordern, „nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa“.
Die SPD-Friedenskreise wenden sich zudem gegen eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland und gegen die Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aktuell werde ein „Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg“ beschworen, statt Verteidigungsfähigkeit mit Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen: „Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit.“
Politiker anderer Parteien zeigten sich entsetzt: „Wann wird begriffen, dass Russland nicht verhandeln und keinen Frieden will“, sagte der Unions-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann betonte: „Wir alle wünschen uns Frieden, und niemand sehnt ihn mehr herbei als die Menschen in der Ukraine. Leider wurden alle Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen oder Friedensgespräche zu führen, von Putin durchkreuzt.“
Die SPD ringt mit der Aufarbeitung ihrer Russlandpolitik. Mit Spannung wird die Parteitags-Debatte erwartet. Auch im neuen Parteiprogramm dürfte sich die SPD dazu positionieren. Es gibt deshalb harsche Reaktionen. „Dieses ,Manifest‘ ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung“, sagte der langjährige Außenpolitiker Michael Roth.