Hausärzte vor dem Kollaps

von Redaktion

Weniger vor Ort, mehr digital: So können Hausärzte entlastet werden. © Richter/imago

München – Ein ganzer Arbeitstag dauert für Dr. Oliver Abbushi oft von 8.30 Uhr bis 19.30 Uhr. Zehn Stunden-Schichten (mit Pause) sind keine Seltenheit für ihn. Der Hausarzt aus Oberhaching/Deisenhofen erledigt in dieser Zeit klassische Sprechstunden vor Ort, Telefon- und Videosprechstunden, Haus- und Heimbesuche sowie alle anfallenden Verwaltungsaufgaben. Ein vollgepackter Arbeitstag also.

Für viele Hausärzte ist das zu viel. Wie eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung und Universität Marburg ergeben hat, will ein Viertel der Hausärzte in den nächsten fünf Jahren aufhören. Wer weitermacht, will seine Arbeitszeit reduzieren – im Schnitt um zwei Stunden.

Das reißt eine Lücke. Laut der Stiftung sind jetzt schon deutschlandweit 5000 Hausarztsitze nicht besetzt. Für den Freistaat zählt die Kassenärztliche Vereinigung Bayern Anfang 2025 insgesamt 468 offene Hausarztsitze. Bereits vier sogenannte Planungsbereiche – also regionale Gebiete – gelten als unterversorgt. Darunter zählen Feuchtwangen, Wassertrüdingen, Lauingen und Moosburg a. d. Isar. 18 weiteren Gebieten in Bayern droht eine Unterversorgung.

Doch warum wollen so viele Hausärzte aufhören? Als Gründe nennen die Befragten vor allem Bürokratie- und Arbeitsbelastung. Im Schnitt arbeiten Hausärzte 44 Stunden die Woche, wovon allein acht Stunden für andere Tätigkeiten – Verwaltungsaufgaben und Co. – draufgehen (s. Grafik). „Wir haben natürlich eine Bürokratiebelastung“, bestätigt Abbushi. „Und die Arbeitssituation für die Hausärzte, die jetzt arbeiten, muss verbessert werden.“

So müssten etwa Anträge vereinfacht werden, denn „wir haben das in ganz vielen Feldern, dass wir nichtärztliche Tätigkeiten miterfüllen.“ Das zeigt auch die Hausarzt-Studie. Denn eine Mehrheit der knapp 3700 befragten Hausärzte könnte sich vorstellen, im Job zu bleiben: Wenn es Umstrukturierungen gibt, die zu weniger Verwaltungsaufgaben und kürzeren Arbeitszeiten führen.

Abbushi plädiert zudem dafür, dass die Praxis der Zukunft ganz anders aussehen muss. „Es ist für Routinetätigkeiten nicht notwendig, dass jedes Mal ein persönliches Arzt-Patient-Gespräch stattfindet“, sagt er. Als Beispiel nennt er, normale, also nicht auffällige Laborwerte mit Patienten zu besprechen. Entlastungspotenzial sieht er auch in dem Plan, künftig nicht mehr jedes Quartal abrechnen zu müssen, sondern nur noch einmal im Jahr.

Aber auch Digitalisierung verspreche Entlastung. So bietet Abbushi in seiner Praxis mittlerweile eineinhalb Stunden am Tag eine Videosprechstunde an. Die Bertelsmann Stiftung schlägt außerdem vor: Terminvergabe, Befundaustausch, Diagnostik und Behandlungsabläufe stärker zu digitalisieren. Bislang geben aber 25 Prozent der Hausärzte an, ein- oder mehrmals täglich Software-Probleme zu haben.

Trotzdem will die Bertelsmann Stiftung nicht alles schwarzmalen. „Wichtig wird sein, wie viel Zeit dem Hausarzt und der Hausärztin effektiv für die Arbeit am Patienten zur Verfügung steht“, sagt Experte Uwe Schwenk. Ungenutzte Potenziale müssten genutzt werden. Durch viele Anstrengungen hätten sich in den letzten zehn Jahren zudem die Abschlüsse für den Facharzt für Allgemeinmedizin verdoppelt, erklärt Abbushi. Gleichzeitig fordert der Hausarzt, dass sein Beruf „an Universitäten sichtbarer wird“. Und etwa Studenten ihr Praktisches Jahr in den Hausarztpraxen absolvieren.

Auch die geplante Primärversorgung – Hausarztpraxen als erste Anlaufstelle – sieht Abbushi positiv, „weil es uns nämlich die zentrale Rolle im Gesundheitssystem sichert“. Und dieses Signal brauche es, „damit sich viele Kollegen für unseren Beruf entscheiden“. Außerdem würden durch das Primärarzt-System auch wieder dringend gebrauchte Termine bei Fachärzten frei werden.

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