In dieser Woche: Feuerwehrleute löschen einen Brand nach dem Einschlag einer russischen Rakete in ein Wohnhaus in Kiew. © Efrem Lukatsky/dpa
München – Innenstaatssekretär unter Franz Josef Strauß, später Umweltminister, in der Eurokrise CSU-Rebell. Peter Gauweiler, inzwischen Rechtsanwalt in München, blickt auf ein bewegtes Politikerleben. Heute fremdelt der 75-Jährige damit, wie leichtfertig aus seiner Sicht ein Krieg mit Russland riskiert werde.
Herr Gauweiler, Sie sind vor zehn Jahren aus dem Bundestag ausgeschieden, wo Sie sich – auch gegen die Parteilinie – immer sehr gegen Militarisierung und Kriegsbeteiligungen Deutschlands gewandt haben. Wird Ihnen heute schwindelig, wenn Sie auf die neuen Realitäten in Europa und Nahost blicken?
Mit der Bombardierung von Belgrad und Novi Sad in den 90er-Jahren wurde die Büchse der Pandora geöffnet. Bis dahin war eigentlich ausgemacht: Der Krieg kann und darf kein Mittel der Politik mehr sein – so sind wir, die Kinder der Nachkriegszeit, mal groß geworden. Und das wurde von allen Seiten aufgegeben.
Heute streitet die deutsche Politik über Israel. Haben Sie Verständnis für Netanjahus Befehl, Irans Atomanlagen anzugreifen?
Israels Schläge gegen eine iranische Atombewaffnung sehe ich tatsächlich anders. Das war nicht die Konzeption eines Krieges, sondern eine Präventivmaßnahme und ein finaler Rettungsschuss auf Personen, die sich anschickten, Israel mit einem Atomschlag zu vernichten und sich gar keine Mühe machten, dies zu verbergen. Das ist eine zulässige Sicherheitsmaßnahme, notwendig, um nicht selbst ausgelöscht zu werden. Was nicht zulässig wäre, ist, dicht besiedelte Städte, also auch die Stadt Teheran, zu bombardieren.
Gleichzeitig sind Sie ein Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine. Ist Kiew zu bombardieren also in Ordnung?
Meinen Sie das wirklich ernst? Nach dem Motto: Wenn die anderen den Krieg eskalieren, eskalieren wir ihn noch mehr. Genau diese Logik führt die Menschheit immer mehr an den Rand des Abgrunds. Das Schema von Schlag und Gegenschlag mag in einer Oktoberfest-Auseinandersetzung verzeihlich erscheinen, zwischen Staaten sollte es indiskutabel geworden sein. Die Kriege des Westens „für unsere Werte“ haben seit den 90er-Jahren Millionen Opfer gekostet und eine Fluchtbewegung ohne Beispiel ausgelöst. Diese Eskalation hat zu der Sackgassen-Lage von heute erheblich beigetragen.
Aber Gesprächsversuche mit Moskau gibt es doch auch zur Genüge. Gerade muss US-Präsident Trump wieder feststellen, dass Putin offenbar sehr weitreichende Kriegsziele hat, von denen er nicht abweicht.
So wie ich es sehe, ist Russland schon mit der Idee nicht einverstanden, dass die Ukraine ein eigener Staat ist. Ich selbst glaube hingegen, dass viele kleinere selbstständige Staaten die bessere Zukunft sein könnten. „Die Welt muss entweder untergehen oder verschweizern“ wusste schon Friedrich Dürrenmatt. Das Baltikum ist dafür ein Beispiel. Das würden die Russen nicht gerne hören. Aber ich glaube unter keinen Umständen, dass es ausgerechnet unsere Aufgabe ist, ihnen das via Nato mit Krieg oder Gegenkrieg einzubläuen.
Sind wir uns denn einig, wer den Krieg in der Ukraine begonnen hat?
Solche Kriegsschulddebatten führen uns erst recht nicht weiter. Wenn jedes Mal zuerst ein Schuld-Bekenntnis nötig ist, um über Frieden auch nur reden zu dürfen, wird der Ausweg zu einer Alternative zum Krieg nochmals verstellt.
Was ist die Alternative? Keine Selbstverteidigung, Pazifismus und am Ende Kapitulation?
Natürlich nicht. Aber wir dürfen doch nicht den Fehler vieler Militärs machen, Krieg in überholten Dimensionen zu denken. Er ist im Atomzeitalter eben nicht der Vater aller Dinge, sondern das absolute Ende: weil er nicht begrenzt werden kann. Heute einen Militärkonflikt mit der größten Atommacht der Welt auch nur ins Auge zu fassen, mit einem Bundeswehrverwaltungsamt im Nacken, das uns sagt, wir seien vielleicht in vier Jahren kriegsbereit, bis dahin sollte der Feind doch bitte schön noch warten! Da läuft es mir kalt den Rücken herunter und ich möchte den handelnden Personen zurufen: Kapiert ihr nicht, in welche Gefahr ihr uns bringt?
Wenn man sich von Putins Atomdrohungen leiten lässt, geht man ihm doch auf den Leim! Der Einsatz von Nuklearwaffen wäre schließlich auch sein eigener Untergang.
Dass er das schon nicht tun wird, auch nicht in der Stunde des Untergangs, obwohl Sie ihm gleichzeitig eine Desperado-Mentalität zubilligen – dieses Risiko, atomar verbrannt zu werden, ist mir zu groß. Der Streit, ob der Unterlauf des Don von Kiew oder Moskau regiert wird, ist nicht unser Streit. Diese blutige Auseinandersetzung wird am Ende die gleiche Sinnhaftigkeit haben wie die Menschenopfer um Elsass-Lothringen: Das versteht in der Rückschau auch niemand mehr, aber damals waren Deutsche und Franzosen dafür zu allem bereit.
Nach dieser Logik kann Putin aber alles durchsetzen.
Auch Präsident Putin ist sterblich, und ich wage die Prognose, dass Sie als junge Redaktion einst darüber diskutieren werden, wie Sie seinen Nachruf gestalten. Das hat der liebe Gott sehr sinnvoll eingerichtet. Aber auf der anderen Seite stehen auch immer menschliche Wesen, die eine andere Sicht der Dinge haben und auch leben wollen. Man muss ihnen einen Ausweg lassen.
Sind Sie da nicht zu gutgläubig?
Im Gegenteil. Interessen müssen ausgesprochen und dann ausverhandelt werden.
Ist es denn langfristig in unserem Interesse, der Welt zu signalisieren: Wir beugen uns Diktaturen?
Unser Interesse ist, den Wohlstand unseres Landes zu mehren, wirtschaftliche Stabilität zu halten und die Menschen, die hier leben, nicht irrsinnigen Kriegsgefahren auszusetzen. Unser „militärisches“ Interesse, der Welt zu signalisieren, lautet: Eine kriegerische Einmischung von unserer Seite wird es nicht geben, für Deutschland ist Krieg kein Mittel der Politik mehr!