Provokation pur: 2020 tritt Stefan Löw mit Gasmaske ans Rednerpult – er ist heute noch Teil der AfD-Fraktion.
München – In der Sitzung vor Pfingsten geht es zwischenzeitlich hoch her im Landtag. Die AfD hat in einem Gesetzesantrag gefordert, die Regenbogenflagge an öffentlichen Gebäuden zu verbieten. Die Debatte ist emotional. Gerade spricht Doris Rauscher (SPD) über „Solidarität mit queeren Menschen“, da meldet der AfD-Abgeordnete Matthias Vogler eine Zwischenbemerkung an. „Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug“, findet er. Und dann: „Sie brauchen sich auch nicht immer über die Übergriffe wundern, weil das alles in der Gesellschaft nämlich mittlerweile zum Halse rauskommt.“
Es gibt Zwischenrufe: „Was?“ Rechtfertigt da gerade ein Abgeordneter in einer Landtagsdebatte Gewalt gegen eine Minderheit? Doch statt Vogler nun auf seine Aussage festzunageln, sagt Rauscher, sie könne sich eine Reaktion sparen – und tritt vom Rednerpult.
Die Szene steht beispielhaft für die inneren und äußeren Konflikte, die die AfD den anderen Parteien im bayerischen Parlament aufzwingt. Dagegensetzen oder laufen lassen – groß machen, oder klein halten? Das ist die Frage, die sich ein ums andere Mal stellt, wenn die AfD provoziert. Wenn ihre Abgeordneten zum Beispiel vom „Endsieg“ sprechen, den die anderen Parteien über Russland vollenden wollten. Dafür gab es eine Geldstrafe (1000 Euro für AfD-Redner Oskar Lipp), und regelmäßig werden neue AfD-Kandidaten für den Stellvertreter-Sitz im Landtagspräsidium durchfallen gelassen. Doch die, die sich gerne als die „demokratischen“ Parteien im Landtag bezeichnen, finden darüber hinaus auch nach mehr als sechs Jahren keinen wirklich souveränen Umgang mit der AfD.
Dabei ist deren Vorgehen durchschaubar. Gerne bringt die Fraktion polarisierende Anträge in die Vollversammlung, um sie medienwirksam beraten zu lassen. Die Themen sind so gewählt, dass sie Emotionen versprechen. Regenbogenflagge, Minarettverbot – unter dem Titel „Ein Jahr nach dem Polizistenmord in Mannheim Solidarität mit unseren Polizisten statt linksgrüner Polizeifeindschaft!“ werden die Ausfälle von Grünen-Jugend-Bundeschefin Jette Nietzard in die bayerische Manege gezogen.
Mangelnden Fleiß kann man der Fraktion, die aus Rednersicht auch im Landtag ganz rechts sitzt, dabei nicht vorwerfen: Zwölf Gesetzentwürfe hat die AfD in der laufenden Legislatur eingebracht. Fast doppelt so viele wie die beiden anderen Oppositionsparteien Grüne (5) und SPD (2) zusammen. Auch bei schriftlichen Anfragen und Änderungsanträgen liegt die AfD deutlich vorne. Dass die Initiativen abgeblockt werden, ist Nebensache. Man kommt medial vor und hat stetig neuen Stoff für Social-Media-Schnipsel.
Insbesondere die CSU, die konservative Wähler binden – und auch von der AfD zurückgewinnen – will, tut sich schwer. Weil sie mit den Freien Wählern in den Ausschüssen in der Regel eine Mehrheit hat, gibt es oft eigentlich keinen Grund, Anträge zur breiten Beratung ins Plenum zu ziehen. Doch so entsteht dort auch eine Nische für die AfD. Dass sich die Christsozialen zudem zuletzt selbst lieber an der Ampel abgearbeitet haben, statt eigene bayerische Themen in den Vordergrund zu heben, dürfte das Problem vergrößert haben.
Jüngste Versuche, die AfD mit eigenen Mitteln zu treffen, liefen auch nicht sehr erfolgreich. Als „Vaterlandsverräter“ betitelte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze die Partei zuletzt, zwei CSU-Minister hatten sich zuvor ähnlich geäußert. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) ging dazwischen. „Wer der Meinung ist, das hehre Ziel, die Demokratie zu beschützen, sei der Freibrief für persönliche Beleidigungen“, der täusche sich. In Zukunft werde sie dagegen vorgehen.
Und jetzt? Markus Rinderspacher, lange Jahre SPD-Fraktionschef und heute Landtags-Vizepräsident, empfiehlt eine Doppelstrategie. „Es muss klare rote Linien gegen rechtsextreme Narrative und demokratiefeindliches Verhalten geben“, sagt er unserer Zeitung. Bei Umdeutungen der Geschichte, Relativierung von Hass oder der Verachtung von Menschenrechten heiße es: „Hart dagegenhalten!“ Gleichzeitig könnten die Fraktionen „AfD-Nebelkerzen und rhetorische Verrenkungen“ mit überschaubarer Relevanz auch mal „elegant ignorieren“, findet Rinderspacher.
Ein weiterer Pfeil im Köcher der anderen Parteien könnte eine sogenannte Extremismusklausel sein. Denn: Der Landtag kann verfassungsfeindlichen Mitarbeitern von Abgeordneten (wie es sie BR-Recherchen zufolge in der AfD-Fraktion gibt) das Gehalt streichen, hat vor bald einem Jahr ein juristisches Gutachten ergeben. Auf Medienanfragen antworteten CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD kürzlich gemeinsam. Man sei in intensiven Gesprächen und habe das gemeinsame Ziel: „Kein Steuergeld für Extremisten.“ Rechtlich ist die Sache allerdings kompliziert. Gründlichkeit gehe da vor Schnelligkeit, heißt es.