Den Haag/München – Für die äußere Sicherheit ist gesorgt. 27 000 Polizisten, die Hälfte aller Einsatzkräfte der Niederlande, sollen Den Haag schützen. Vor der gesperrten Küste patrouillieren Marineschiffe, in der Luft F35-Kampfflieger, am Boden sind zehn Luftabwehr- und Radarsysteme aufgebaut, das Konferenzzentrum „World Forum“ ist mit drei Meter hohen Stahlzäunen abgeriegelt, 10 000 Soldaten stehen bereit. Vielleicht ist das Irrsinn, vielleicht notwendig, oder beides – auf jeden Fall ist der Nato-Gipfel ab heute Abend das größte Sicherheitsereignis in der niederländischen Geschichte.
Die größte Unsicherheit herrscht nun: drinnen. Denn in außenpolitisch dramatisch bewegten Zeiten wollen sich die 32 Nato-Mitglieder auf eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben verständigen. Sie sind sich aber in Wahrheit über die Höhe nicht einig, es braucht mehrere Ausnahmen und Formelkompromisse für den Anschein eines Konsenses. Gleichzeitig ist eine der größten Sorgen: Wird das den unsteten US-Präsidenten Donald Trump besänftigen?
Der Vorschlag von Generalsekretär Mark Rutte (er hat in Den Haag ein Heimspiel) heißt: Jedes Land stimmt zu, spätestens 2035 mindestens 3,5 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung für Verteidigungsausgaben und 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur aufzuwenden. Letzteres können auch Investitionen in Bahnstrecken, panzertaugliche Brücken und erweiterte Häfen sein. Im Osten Europas, wo der Aggressor Russland nah ist, oder in Griechenland (Rivale: Türkei) war es nicht schwer, dafür Zustimmung zu bekommen. Nach und nach stimmten die Nato-Länder den neuen Ausgabenzielen zu, wohl auch, um die USA an Bord zu halten. Das größte Sorgenkind: Spanien. Zuletzt reihte sich das Land nach intensiven Verhandlungen am Sonntag ein. Ministerpräsident Pedro Sánchez behauptet, Spanien müsse sich nicht an die neuen Ausgabenziele halten. Die Nato sagt: Und ob! Details sind vertraulich.
Das nächste große Krisenthema dürfte der Iran sein. Das direkte Eingreifen der USA in den Krieg und der Angriff Teherans auf US-Stützpunkte in Katar und im Irak werfen Fragen in der Nato auf. Was bedeutet die Eskalation für das Bündnis? In Artikel fünf des Nordatlantikvertrags – das ist die Beistandsverpflichtung – ist nur von Angriffen in Europa oder Nordamerika die Rede, dennoch scheint nicht ausgeschlossen, dass die US-Regierung jetzt ihre Partner um Hilfe bitten könnte.
So viel Gesprächsbedarf – dabei ist der Gipfel drastisch verkürzt worden, wegen Trump. Man sorge dafür, „dass Trump sich nicht in langwierigen Sitzungen langweilt“, sagte der frühere Nato-Funktionär Jamie Shea. Am Dienstagabend gibt es einen Empfang im königlichen Schloss Huis ten Bosch, angeblich mit Golf-Runde für den US-Gast. Am Mittwochvormittag findet die Sitzung der 32 Staats- und Regierungschefs statt – nur zweieinhalb Stunden. Schon am frühen Nachmittag soll alles vorbei sein. Außerdem wird Wolodymyr Selenskyj, bei den letzten Nato-Gipfeln noch Ehrengast, nach dem Eklat mit Trump in Washington im Februar jetzt nur bei Randveranstaltungen auftreten. Von einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine wird in der Abschlusserklärung laut „Spiegel“ keine Rede mehr sein.
Ins Zentrum rückt in diesen Wirren einer, der zum ersten Mal dabei ist: Friedrich Merz. Seine Nato-Premiere wird mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Denn mit der Unberechenbarkeit der US-Regierung werden die Rufe nach einer deutschen Führungsrolle in der Nato lauter. Beim Fünf-Prozent-Ziel ist der Kanzler an Bord. Allerdings sind es aktuell nur 2,1 Prozent. Merz gibt vor dem Abflug heute im Bundestag noch eine Regierungserklärung zum Gipfel ab. Außen- und Verteidigungsminister begleiten ihn nach Den Haag.