Demonstrativ entspannt: Jens Spahn (CDU) kommt zum Haushaltsausschuss ins Paul-Löbe-Haus des Bundestags. © Riedl/dpa
Berlin – Der, um den es geht, ist an diesem Nachmittag gar nicht da. Jens Spahn fehlt im Plenum des Bundestags. Als sie dort das Schimpfen beginnen, ist der Unions-Fraktionschef schon auf dem Weg zum Haushaltsausschuss, wo er Stellung zur Corona-Maskenaffäre nehmen soll. Die Überschneidung kommt ihm wohl ganz gelegen, so muss er sich die gesammelten Vorwürfe gegen ihn nicht anhören. In den Debatte, ebenfalls zur Maskenaffäre, geht es jedenfalls hoch her.
Die Opposition macht dem Ex-Gesundheitsminister heute schwere Vorwürfe. Er habe sich in der Pandemie vor allem „selbst versorgt – mit Kontakten, mit Deals, mit Milliarden aus unserem Steuergeld“, sagte Linken-Chefin Ines Schwerdtner. „Wir mussten verzichten, Sie haben verteilt, vor allem an Parteifreunde, ohne Ausschreibung und Rat anderer Ministerien.“ Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte, es seien bis zu elf Milliarden Euro an Schaden entstanden. Die Union „drangsaliere“ Bürgergeldempfänger, sei im Fall der Maskenbeschaffung aber kaum an Aufklärung interessiert. Das sei „bigott“. Die AfD-Abgeordnete Claudia Weiss sprach von „politischem Totalversagen“.
Hintergrund ist ein Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof. Sie hatte festgestellt, dass Spahn „gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ in großem Umfang in die Schutzmasken-Beschaffung eingestiegen war. Milliardenrisiken für den Staat entstanden demnach, obwohl mit Beschaffung erfahrene Behörden bereitgestanden und mehrfach gewarnt hätten. Sudhof war von Spahn-Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) beauftragt worden.
Eine Reihe von Unions-Politikern nahm den Fraktionschef indes in Schutz. Der Münchner CSU-Mann Stephan Pilsinger etwa sagte, es gebe „keinerlei Anhaltspunkte“ dafür, dass Spahn persönlich profitiert habe. Vielmehr habe er durch sein Handeln tausende Leben gerettet. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) verteidigte ihren Vorgänger schon am Morgen. In Zukunft, stellte sie zugleich klar, werde es Beschaffungen durch ihr Ministerium nicht mehr geben.
Der Ex-Minister selbst will keine gravierenden Fehler erkennen, im Gegenteil. „Ich halte die meisten Vorwürfe aus dem Sudhof-Papier für entkräftet“, sagte Spahn am Abend nach der zweistündigen Anhörung im Haushaltsausschuss. Als er die Entscheidungen zur Maskenbeschaffung getroffen habe, habe „der gesundheitliche Kriegsfall“ geherrscht. „Und wir hatten, um im Bild zu bleiben, keine Gewehre, keine Munition, keinen Schutz.“ Damals seien Entscheidungen in einer Notsituation nötig gewesen. „Und es wird gerade versucht, bis an die Grenze der Verleumdung das in einen anderen Kontext zu bringen.“
Spahn betonte: „Wir haben getan, was notwendig war, um Masken zu beschaffen.“ Er und der damalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sich einig gewesen: Es solle lieber Geld kosten als Menschenleben.
Der Sonderbericht sorgt auch in der schwarz-roten Koalition für Streit. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Simone Borchardt (CDU), betonte, „ein vermeintliches Gutachten ohne klare Methodik, ohne nachvollziehbare Quellen, ohne rechtliche Substanz“ sei keine Grundlage zur Beurteilung der damaligen Entscheidungen. Ihr SPD-Pendant Christos Pantazis warnte indes, den Bericht parteipolitisch zu diskreditieren: Er sei von einer „hochverdienten“ Spitzenbeamtin parteiunabhängig erstellt worden.
Warken warf der Autorin des Berichts erneut methodische Mängel und nicht nachvollziehbare Herleitungen vor. Schwärzungen in dem Bericht begründete sie mit persönlichen Daten und Geschäftsgeheimnissen Dritter. Die Stellen müssten aber nicht geschwärzt bleiben.
Grünen-Politiker Janosch Dahmen sagte, vor allem stehe der Vorwurf im Raum, dass ein Unternehmen aus der Heimatregion von Spahn „ohne Ausschreibung in einem Hopplahopp-Verfahren mit teilweise WhatsApp und privater E-Mail-Kommunikation“ beauftragt wurde, nach wenigen Tagen völlig überfordert gewesen sei und anschließend auf Schadensersatzforderungen verzichtet worden sei.
Die Linke verlangte Spahns Rücktritt. „Wer so leichtfertig unsere Steuergelder aus dem Fenster wirft, darf kein wichtiges politisches Amt mehr ausüben“, erklärte Parteichefin Schwerdtner. Spahn habe gegen den Rat seiner Experten windige Milliardendeals eingefädelt. Daher solle er „der Demokratie einen letzten Dienst erweisen“ und „als Fraktionschef zurücktreten“.