Die Sanierung der SPD

von Redaktion

Reichlich Klärungsbedarf gibt es bei der SPD nach dem schlechtesten Wahlergebnis seit Gründung der Bundesrepublik. © Oliver Berg/dpa

München/Berlin – Als Co-Vorsitzende der Arbeiterpartei SPD ist Saskia Esken aufgrund ihrer Biografie eine glaubwürdige Besetzung gewesen. Als Erste in ihrer Familie besuchte sie eine Universität, brach das Studium aber nach vier Semestern ab und schlug sich davor und danach nicht nur mit alltäglichen Jobs durch. Esken war Paketbotin, Chauffeurin, Kellnerin – und Straßenmusikerin.

Mit der Gitarre sei es ähnlich gewesen wie in der Politik, hat sie dem Musikmagazin „Rolling Stone“ erzählt. So wie die Leute spendabler sind, wenn sie ein Lied mitsummen können, zieht auch bei SPD-Anhängern das Altbewährte: „Wenn man Willy Brandt zitiert, gibt es Applaus.“

Zuspruch hat Esken an der Spitze der Sozialdemokraten nur sehr dosiert erhalten, unumstritten war sie nie. Auf dem Parteitag in Berlin wird sie nun als Co-Vorsitzende verabschiedet. Ihren Platz an der Seite von Lars Klingbeil soll Bärbel Bas übernehmen.

Neben dem Rückzug von Olaf Scholz in die hinteren Reihen des Bundestags ist Eskens Abschied der sichtbarste Beleg für die Neuausrichtung, die sich die SPD verordnet hat. Sie mag weiterhin an der Regierung beteiligt sein, doch das Wahldebakel vom Februar – historisch schlechte 16,4 Prozent – ist nicht annähernd aufgearbeitet. Im laufenden Koalitionsbetrieb steht nun nicht weniger als eine Generalsanierung an.

„Veränderung beginnt mit uns“ ist nicht nur das Motto des Parteitags, sondern auch der Titel eines Leitantrags. In diesem betreibt der Parteivorstand eine robuste Selbstanalyse. Die SPD habe „inhaltlich, organisatorisch und kommunikativ“ substanziell an Vertrauen verloren und werde von zu wenigen Menschen als „politische Kraft mit Zukunftsversprechen wahrgenommen“. Die Ursachen reichten „von fehlender strategischer Klarheit bis hin zu mangelnder Präsenz in den Lebenswelten vieler Menschen.“ Die abgewählte Bundesregierung unter Kanzler Scholz habe „weder kommunikativ noch politisch den Puls der Zeit getroffen“.

Dass neben Scholz auch Esken dafür die Konsequenzen tragen muss, während mit Klingbeil der andere Parteichef stärker denn je ist, sorgt an der Basis seit Monaten für Verstimmung und tut es bis heute. Klingbeils Ergebnis bei der Wiederwahl heute Abend wird Aufschluss darüber geben, wie stark das Rumoren noch ist. Die Debatten könnten lebhaft werden.

Darauf deuten auch die besorgten Wortmeldungen mehrerer SPD-Ministerpräsidenten gegenüber dem Portal „The Pioneer“ hin. Die saarländische Regierungschefin Anke Rehlinger mahnt: „Viel Luft, um Fehler zu machen, ist nicht mehr da.“ Die Kritik aus den Staatskanzleien geht ins Grundsätzliche. Die Partei müsse wieder stärker auf Themen setzen, die den Alltag der Menschen prägten, sagt Rehlinger: „Themen, die am Esstisch diskutiert werden.“ Der Brandenburger Dietmar Woidke plädiert für „Bodenhaftung“ und „geräuschloses Regierungshandwerk“, während der Rheinland-Pfälzer Alexander Schweitzer daran erinnert, „dass wir neben dem Kopf auch das Herz ansprechen müssen“.

Das hört sich banal an, ist der SPD aber offenbar abhanden gekommen. Es gelinge der Partei kaum noch, „authentische Debatten“ zu führen, moniert der Kasseler Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Beispielhaft nennt er die Bereiche Arbeit, soziale Sicherheit oder Gleichberechtigung. Ziel müsse es sein, „die Befindlichkeiten in der Gesellschaft aufzugreifen“.

Beim Koalitionspartner verfolgt man die Selbstfindung der Sozialdemokraten mit gespannter Erwartung. Vor dem Hintergrund des umstrittenen „Manifests“ zum Umgang mit Russland mahnt der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Steffen Bilger, in der „Rheinischen Post“: „Eine inhaltlich und personell sortierte Sozialdemokratie mit klarem Kurs vor allem auch in der Außen- und Sicherheitspolitik wird die künftige Koalitionsarbeit stärken.“ Es klingt wie ein Auftrag an den neuen starken Mann Klingbeil.

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