Das Gute vorneweg: Die zuständige Kommission mit Spitzenvertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie einer unabhängigen Vorsitzenden hat den neuen Mindestlohn selbstständig festgelegt und sich nicht allzu sehr von der Politik treiben lassen. Die Erhöhung erfolgt in zwei Schritten – 13,90 Euro ab 2026 und 14,60 Euro ab 2027 –, und selbst der zweite liegt noch unter der politischen SPD-Forderung von 15 Euro. Trotzdem, und auch das darf man loben, widerstanden die Genossen parallel zu einem emotional aufgeladenen Parteitag der Versuchung, die Höhe politisch durchzudrücken. Hätte sich die Kommission, wie vor zwei Jahren, nicht auf ein Ergebnis geeinigt, wäre sie wohl Geschichte. Und die Tarifautonomie hätte einen schweren Schlag bekommen.
Die generelle Debatte um den Mindestlohn aber wird nie enden. Natürlich birgt er Probleme: Manche Billigjobs werden schlicht unrentabel, andere wandern in die Schwarzarbeit. Man kann auch fragen, ob ein bundesweit einheitlicher Lohn wirklich Sinn macht – in Gelsenkirchen oder Cottbus lebt es sich nun einmal billiger als in München oder Frankfurt. Und vor allem: Die starke Erhöhung mag angesichts des drohenden dritten Rezessionsjahres in Folge zum falschen Zeitpunkt kommen und einige Unternehmen in Probleme stürzen.
Trotzdem: Nach monatelangen Debatten um Zuwanderung, Bürgergeld und vor allem Inflation ist es für den sozialen Frieden im Lande richtig, dass Arbeit vernünftig entlohnt wird. Wenn Sozialleistungen zu hoch, die Löhne aber zu niedrig sind, entsteht die Schieflage, die viele Menschen in Deutschland beklagen. Arbeitende müssen deutlich mehr haben! Um ausreichend Lohnabstand herzustellen, sollte die neue Bundesregierung deshalb auch die Reform des Bürgergelds entschlossen vorantreiben, das in eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umgestaltet werden soll – wie immer die auch aussehen soll.
Der Mindestlohn allein wird die Missstände jedenfalls nicht beheben, zu vielfältig sind die Baustellen. Geringverdiener haben auf den Wohnungsmärkten westdeutscher Großstädte kaum noch eine Chance. Für sie sind auch hohe Energiepreise oder steigende Sozialbeiträge überproportional belastend. Die Politik hat es in der Hand.